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Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die folgende Frage zur Auslegung der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, geändert durch die Richtlinie (EU) 2016/2370 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur sowie durch den Delegierten Beschluss (EU) 2017/2075 der Kommission vom 4. September 2017 zur Ersetzung des Anhangs VII der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, (konsolidierte Fassung, im Folgenden: Richtlinie 2012/34/EU) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art. 4 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU dahingehend auszulegen, dass ihnen nationale Regelungen entgegenstehen, die dem Infrastrukturbetreiber im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs vorgeben, die Berechnung der genehmigungsbedürftigen Entgelte durch eine Multiplikation von durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre eines gesetzlich bestimmten Basisjahres mit einer gesetzlich vorgegebenen jährlichen Dynamisierungsrate vorzunehmen?
Gründe
2A. Sachverhalt
3Die Antragstellerinnen begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die gerichtliche Anordnung der vorläufigen Zahlung eines bei der Antragsgegnerin beantragten höheren Entgeltes.
4Die Antragstellerin zu 1., eine als Aktiengesellschaft organisierte juristische Person des Privatrechts, ist eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, einem bundeseigenen Mobilitäts- und Transportkonzern. Die Antragstellerin zu 2., eine als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte juristische Person des Privatrechts, ist eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Antragstellerin zu 1. Zusammen betreiben beide als Infrastrukturbetreiber den größten Teil des Schienennetzes auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Antragsgegnerin ist die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin der Bundesnetzagentur – der obersten deutschen Regulierungsbehörde.
5Für die Nutzung ihrer Schienennetze verlangen die Antragstellerinnen von Zugangsberechtigten Nutzungsentgelte, die in ihren jährlich veröffentlichten Infrastrukturnutzungsbedingungen, bei denen es sich um Schienennetz-Nutzungsbedingungen i.S.d. Art. 3 Nr. 26 der Richtlinie 2012/34/EU handelt, veröffentlicht werden und die vorab durch die Antragsgegnerin nach § 45 Abs. 1 des nationalen Eisenbahnregulierungsgesetzes (ERegG) zu genehmigen sind.
6Mit der für das Vorabentscheidungsersuchen relevanten Ziffer 1 des streitgegenständlichen Beschlusses vom 22. März 2024 (BK10-23-0400_E) genehmigte die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen u.a. die in Anlage 1 des Beschlusses genannten Entgelte für die Erbringung des Mindestzugangspaketes für die Netzfahrplanperiode 2024/2025 jeweils im Vergleich zum Hauptbegehren des Entgeltgenehmigungsantrags in geänderter Höhe. Hinsichtlich der die Schienenpersonennahverkehrsdienste und sonstige Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags (SPNV) betreffenden Entgelte erfolgte eine Reduzierung; zugleich wurden die Entgelte im Schienenpersonenfernverkehr und Schienengüterverkehr erhöht. Soweit dies für dieses Verfahren von Bedeutung ist, führte die Antragsgegnerin im Beschluss zur Begründung aus, die Marktsegmentierungsentscheidung der Antragstellerinnen sei antragsgemäß zu genehmigen. Diese unterschieden im zur Genehmigung gestellten Trassenpreissystem (TPS) 2025 insoweit je Bundesland in Last- und Leerverkehre. Aus § 37 Abs. 1 ERegG ergebe sich, dass die Antragstellerinnen die Höhe der Entgelte für die Nutzung der Schienenwege im SPNV je Land festzulegen hätten. Die Entgelte seien der Höhe nach jedoch nur in einem geringeren Umfang genehmigungsfähig. Diese seien gemäß § 37 Abs. 2 ERegG für jedes Land so zu bemessen, dass sie den durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre je Bundesland in der Netzfahrplanperiode 2020/2021 zuzüglich der in § 5 Abs. 3 RegG festgesetzten jährlichen Änderungsrate entsprächen. Nach § 5 Abs. 3 RegG und unter Heranziehung von § 5 Abs. 10 RegG habe eine viermalige Dynamisierung der Entgelte des Basisjahres um jeweils 1,8 % zu erfolgen.
7Gegen den Beschluss der Antragsgegnerin vom 22. März 2024 haben die Antragstellerinnen am 11. April 2024 vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben (Aktenzeichen: 18 K 1993/24) und das Gericht am 17. April 2024 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht (18 L 678/24).
8B. Wesentliche Rechtsnormen
9Europäisches Recht
10I. Richtlinie 2012/34/EU
11Erwägungsgrund 43 lautet:
12In dem von den Mitgliedstaaten abgesteckten Rahmen sollten die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur einen Anreiz geben, die Nutzung ihrer Fahrwege zu optimieren.
13Erwägungsgrund 66 lautet:
14Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur sind erforderlich, und Wegeentgeltregelungen sollten den Infrastrukturbetreibern Anreize geben, entsprechende wirtschaftlich sinnvolle Investitionen zu tätigen.
15Artikel 4 (überschrieben mit: „Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber“) lautet:
16(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Eisenbahnunternehmen, die direkt oder indirekt Eigentum von Mitgliedstaaten sind oder von ihnen kontrolliert werden, in Bezug auf die Geschäftsführung, die Verwaltung und die interne Kontrolle der Verwaltungs-, Wirtschafts- und Rechnungsführungsfragen eine unabhängige Stellung haben, aufgrund deren sie insbesondere über ein Vermögen, einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind.
17(2) Der Infrastrukturbetreiber ist unter Beachtung der Rahmenbedingungen betreffend die Entgelterhebung und die Kapazitätszuweisung und der von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelvorschriften für seine eigene Geschäftsführung, Verwaltung und interne Kontrolle verantwortlich.
18Artikel 29 (überschrieben mit: „Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten“) Abs. 1 lautet:
19Die Mitgliedstaaten schaffen eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 zu wahren ist.
20Vorbehaltlich dieser Bedingung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Infrastrukturbetreiber.
21Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Schienennetz-Nutzungsbedingungen die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung enthalten oder auf eine Website verweisen, auf der die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung veröffentlicht sind.
22Der Infrastrukturbetreiber nimmt die Berechnung und Erhebung des Wegeentgeltes gemäß den geltenden Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung vor.
23Unbeschadet der Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 und unter der Voraussetzung, dass das Recht mindestens vor dem 15. Dezember 2010, unmittelbar durch Verfassungsrecht gewährt wurde, kann das nationale Parlament das Recht haben, die Höhe der vom Infrastrukturbetreiber festgelegten Entgelte zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Bei jeder Änderung ist sicherzustellen, dass die Entgelte mit dieser Richtlinie und mit den geltenden Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung in Einklang stehen.
24Artikel 31 (überschrieben mit: „Entgeltgrundsätze“) Abs. 1 lautet:
25Entgelte für die Nutzung der Fahrwege der Eisenbahn und von Serviceeinrichtungen sind an den Infrastrukturbetreiber und den Betreiber der Serviceeinrichtung zu entrichten, denen sie zur Finanzierung ihrer Unternehmenstätigkeit dienen.
26II. Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14/EG)
27Artikel 4 (überschrieben mit: „Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten“) Abs. 1 lautete:
28Die Mitgliedstaaten schaffen eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/440/EWG zu wahren ist.
29Vorbehaltlich der genannten Bedingung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Betreiber der Infrastruktur. Die Berechnung des Wegeentgeltes und die Erhebung dieses Entgelts nimmt der Betreiber der Infrastruktur vor.
30Nationales Recht:
31I. Grundgesetz
32Artikel 87e Abs. 3 und 4 lauten:
33(3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfaßt. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfolgt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
34(4) Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
35Artikel 106a GG lautet:
36Den Ländern steht ab 1. Januar 1996 für den öffentlichen Personennahverkehr ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Der Betrag nach Satz 1 bleibt bei der Bemessung der Finanzkraft nach Artikel 107 Abs. 2 unberücksichtigt.
37Artikel 143a Abs. 3 Sätze 1 und 2 lauten:
38Die Erfüllung der Aufgaben im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs der bisherigen Bundeseisenbahnen ist bis zum 31. Dezember 1995 Sache des Bundes. Dies gilt auch für die entsprechenden Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung.
39II. Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG)
40§ 35 (überschrieben mit: „Besondere Bedingungen bei Entgelten“) Abs. 6 lautet:
41Beinhalten Entgeltgenehmigungen die vollständige oder teilweise Genehmigung eines vertraglich bereits vereinbarten Entgelts, so wirken sie zurück auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsbereitstellung durch den Betreiber von Eisenbahnanlagen. Das Gericht kann im Verfahren nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung die vorläufige Zahlung eines beantragten höheren Entgelts anordnen, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Anspruch auf die Genehmigung des höheren Entgelts besteht; der Darlegung eines Anordnungsgrundes bedarf es nicht. Geht der Anspruch auf Genehmigung eines höheren Entgelts damit einher, dass die Entgelte in einem anderen Segment oder in mehreren anderen Segmenten abzusenken wären, ist diese Absenkung vom Gericht vorläufig mit auszusprechen. Verpflichtet das Gericht die Regulierungsbehörde zur Erteilung einer Genehmigung für ein höheres Entgelt, so entfaltet diese Genehmigung die Rückwirkung nach Satz 1 nur, wenn eine Anordnung nach Satz 2 ergangen ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung kann nur bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Klageerhebung gestellt und begründet werden. Im Übrigen richten sich Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Genehmigung eines Entgelts nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung. In diesen Fällen führt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht dazu, dass Entgelte anderer Segmente vorläufig angehoben werden.
42§ 36 (überschrieben mit: „Ausgestaltung der Entgelte“) Abs. 2 Sätze 1 und 2 lauten:
43Ein Betreiber der Schienenwege hat zu prüfen, inwieweit die Aufschläge für bestimmte Verkehrsdienste oder Marktsegmente in Betracht kommen. Dabei hat er die in Anlage 7 Nummer 1 genannten Verkehrsdienst- oder Marktsegmentpaare zu prüfen und die zutreffenden auszuwählen, mindestens jedoch
441. Güterverkehrsdienste,
452. Schienenpersonennahverkehrsdienste und sonstige Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und
463. Schienenpersonenfernverkehrsdienste.
47§ 37 (überschrieben mit: „Ausgestaltung der Entgelte für Eisenbahnanlagen und Personenbahnhöfe für Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags; Kostendeckungsbericht“) lautet:
48(1) Stehen den Ländern für die jeweilige Fahrplanperiode vom Bund Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere für den Schienenpersonennahverkehr (Regionalisierungsmittel), zur Verfügung, so haben Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes für Verkehrsdienste nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 die Höhe der Entgelte für die Nutzung von Eisenbahnanlagen je Land und für Nutzung von Personenbahnhöfen je Aufgabenträgergebiet festzulegen.
49(2) Die Entgelte nach Absatz 1 sind für jedes Land oder im Falle der Entgelte für die Nutzung von Personenbahnhöfen für jedes Aufgabenträgergebiet so zu bemessen, dass sie den durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre bei Eisenbahnanlagen im jeweiligen Land in der Netzfahrplanperiode 2020/2021 und bei Personenbahnhöfen im jeweiligen Aufgabenträgergebiet im Kalenderjahr 2021 entsprechen. Soweit sich der Gesamtbetrag der den Ländern zustehenden Regionalisierungsmittel seit dem Jahr 2021 bis zu dem Jahr, in dem das Entgelt tatsächlich zu zahlen ist, geändert hat, sind die Entgelte nach Absatz 1 mit der in § 5 Absatz 3 des Regionalisierungsgesetzes festgesetzten jährlichen Änderungsrate anzupassen.
50(3) Absatz 2 gilt nicht für Entgelte für die Nutzung von Personenbahnhöfen, soweit in einer Vereinbarung zwischen einer Gebietskörperschaft oder einem Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs und dem Betreiber des Personenbahnhofs eine abweichende Vereinbarung zur Höhe der Entgelte getroffen ist. Regelungen nach Satz 1 gelten für alle Zugangsberechtigten. Sie können auf bestimmte Verkehrsleistungen sowie auf Marktsegmente innerhalb dieser Verkehrsleistungen beschränkt werden. § 32 gilt entsprechend.
51(3a) Für einen Betreiber der Personenbahnsteige, der die Entgelte nach Absatz 1 nicht nach den Vorschriften für die Betreiber der Schienenwege ermittelt, gelten die Regelungen für Personenbahnhöfe nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend.
52(4) Die Regulierungsbehörde überprüft, ob für Verkehrsdienste nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 auf Grund des § 37 eine Unterdeckung besteht oder ob in Summe höhere Entgelte eingenommen werden, als zur Deckung der Kosten erforderlich sind. Zu diesem Zweck kann die Regulierungsbehörde
531. die Mengen- und Erlösentwicklungen untersuchen oder
542. untersuchen, ob die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes für Verkehrsdienste nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 in Verbindung mit den Absätzen 1 bis 3a dieser Vorschrift die Aufschläge nach § 36 Absatz 2 Satz 4 so wählen können, dass die Kosten, die den Betreibern von Eisenbahnanlagen für diese Verkehrsdienste entstehen, gedeckt werden können.
55Sie überprüft auch, ob die Stationspreise der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes für Halte von Verkehrsdiensten nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2, die sich aus den Absätzen 1 bis 3a ergeben, die diesen Halten nach § 32 zuzuordnenden Kosten decken oder ob in Summe höhere Entgelte eingenommen werden, als zur Deckung dieser Kosten erforderlich sind.
56(5) Die Regulierungsbehörde hat auf Grundlage der Erkenntnisse nach Absatz 4 einen Berichtsentwurf zu erstellen. Dieser stellt die finanzielle Situation der Betreiber der Eisenbahnanlagen im Hinblick auf die Kostendeckung in den einzelnen Verkehrsdiensten nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2, auch im Verhältnis zu den Verkehrsdiensten nach § 36 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 dar. Der Berichtsentwurf hat auch die finanzielle Situation im Hinblick auf die Kostendeckung für Stationshalte des Schienenpersonennahverkehrs darzustellen. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes erhalten Gelegenheit, innerhalb einer von der Regulierungsbehörde zu setzenden angemessenen Frist zu dem Berichtsentwurf Stellung zu nehmen.
57(6) Auf der Grundlage des Berichtsentwurfs und der Stellungnahmen erstellt die Regulierungsbehörde den Kostendeckungsbericht und veröffentlicht ihn auf ihrer Internetseite. Die Regulierungsbehörde leitet den Kostendeckungsbericht unverzüglich dem Eisenbahninfrastrukturbeirat und der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung leitet den Bericht unverzüglich dem Deutschen Bundestag zu; sie kann dem Bericht eine Stellungnahme beifügen.
58(7) Ein Bericht nach Absatz 6 ist alle fünf Jahre, erstmals zum 31. Dezember 2018, vorzulegen.
59§ 45 (überschrieben mit: „Genehmigung der Entgelte und der Entgeltgrundsätze“) Abs. 1 lautet:
60Die Entgelte eines Betreibers der Schienenwege für die Erbringung des Mindestzugangspakets sind einschließlich der Entgeltgrundsätze nach Anlage 3 Nummer 2 von der Regulierungsbehörde zu genehmigen. Die Genehmigung ist zu erteilen, soweit die Ermittlung der Entgelte den Anforderungen der §§ 24 bis 40 und 46 und die Entgeltgrundsätze den Vorgaben der Anlage 3 Nummer 2 entsprechen. Entspricht die Ermittlung der Entgelte nicht den Anforderungen der §§ 24 bis 40 und 46, kann die Regulierungsbehörde die Ermittlung der Entgelte im erforderlichen Umfang anpassen und die sich hieraus ergebenden Entgelte genehmigen.
61III. Regionalisierungsgesetz (Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, RegG)
62§ 5 (überschrieben mit: „Finanzierung und Verteilung“) Abs. 1 bis 3 und Abs. 10 lauten:
63(1) Den Ländern steht für den öffentlichen Personennahverkehr aus dem Steueraufkommen des Bundes nach Maßgabe der folgenden Vorschriften für jedes Jahr ein Betrag zu. Damit leistet der Bund einen Finanzierungsbeitrag zu dieser Länderaufgabe. Die Länder leisten im Rahmen ihrer Haushaltsautonomie jedes Jahr angemessene eigene Beiträge zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs.
64(2) Für das Jahr 2016 wird der Betrag auf 8 Milliarden Euro festgesetzt.
65(3) Ab dem Jahr 2017 bis einschließlich des Jahres 2022 steigt der in Absatz 2 bezeichnete Betrag jährlich um 1,8 Prozent. Ab dem Jahr 2023 bis einschließlich des Jahres 2031 steigt der in Absatz 2 bezeichnete Betrag jährlich um 3 Prozent.
66(10) Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr der bundeseigenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen, ist nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen. Abweichend von § 37 Absatz 2 des Eisenbahnregulierungsgesetzes erhöhen sich die Entgelte für die Nutzung von Eisenbahnanlagen und für die Nutzung von Personenbahnhöfen in den Jahren 2023 bis 2025 um 1,8 Prozent.
67C. Rechtliche Würdigung
68I. Das vorlegende Gericht (im Folgenden: Gericht) war verpflichtet, den Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV anzurufen. Denn zum einen ist nach nationalem Recht die Entscheidung des Gerichts im hier vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit Rechtsmitteln angreifbar. Zum anderen käme ein erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens angestrengtes Vorabentscheidungsverfahren zu spät. Denn ein Obsiegen der Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren als dortige Klägerinnen könnte wegen § 35 Abs. 6 Satz 3 ERegG nur dann zu einer Rückwirkung der auf Grundlage der gerichtlichen Verpflichtung von der Bundesnetzagentur sodann neu genehmigten Entgelte auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsbereitstellung durch die Antragstellerinnen führen, wenn bereits im Eilverfahren eine Anordnung der vorläufigen Zahlung eines beantragten höheren Entgelts ergangen ist, vgl. § 35 Abs. 6 Satz 2 ERegG.
69II. Die gerichtliche Entscheidung hängt von der Auslegung der Richtlinie 2012/34/EU ab (dazu 1.). Das Gericht wird dem Gerichtshof zunächst die nationale Entgeltbildung, soweit sie für dieses Verfahren entscheidungserheblich ist, erläutern (dazu 2.) und diese sodann an dessen bisher ergangener Judikatur messen (dazu 3.). Gemessen daran ist nach Auffassung des Gerichts die Vorlagefrage zu bejahen (dazu 4.).
701. a. Die Vorlagenfrage ist für den Rechtsstreit entscheidungserheblich. Sollte der Gerichtshof die Vorlagefrage bejahen, stünde die maßgebliche nationale Norm des § 37 Abs. 2 ERegG nicht im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2012/34/EU und wäre gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anwendungsvorrang des Europäischen Rechts vor nationalem Recht nicht anzuwenden. Allein deshalb wären die von den Antragstellerinnen beantragten Entgelte nicht genehmigungsfähig, da sie nicht den Anforderungen genügen, die das Eisenbahnregulierungsgesetz an die Ermittlung der Entgelte stellt, vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 ERegG; der gerichtliche Eilantrag unterläge der Ablehnung. Andere Gründe, aus denen sich die Erfolglosigkeit der Anträge offensichtlich ableiten ließe, sind nach Ansicht des Gerichts nicht gegeben.
71Sollte der Gerichtshof die Vorlagefrage hingegen verneinen, wäre seitens des Gerichts unter anderem die zwischen den Beteiligten darüber hinaus bestehende streitige Frage des nationalen Rechts zu klären, welche Kombination(en) von Dynamisierungsraten im Rahmen der Entgeltberechnung heranzuziehen sind.
72b. Das Gericht hält die Befassung des Gerichtshofs mit der vorgelegten Rechtsfrage auch für angebracht. Dass die Bestimmungen, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, bereits von diesem – wie sogleich unter 3. aufgezeigt werden wird – ausgelegt worden sind, steht dessen erneuter Befassung nicht entgegen.
73Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014, C-58/13 u. C-59/13 [ECLI:EU:C:2014:2088], Toressi - Rn. 31 f. m.w.N.
742. Das Verständnis der zunächst darzulegenden Ausgestaltung der u.a. streitgegenständlichen Entgelte für Verkehrsdienste nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ERegG – dies sind Schienenpersonennahverkehrsdienste und sonstige Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags (SPNV) – für die Nutzung von Eisenbahnanlagen und Personenbahnhöfen nach dem Eisenbahnregulierungsgesetz (dazu a.) verlangt hinsichtlich der Einordnung der Hintergründe des § 37 ERegG nach Auffassung des Gerichts auch eine knappe Darstellung des Instituts und der Historie der national eingeführten und das nationale Regelungskonstrukt prägenden Regionalisierungsmittel (dazu b.).
75a. Ausganspunkt der Entgeltgenehmigung ist § 45 ERegG. Gemäß dessen Absatz 1 Sätze 1 und 2 sind die Entgelte eines Betreibers der Schienenwege für die Erbringung des Mindestzugangspakets einschließlich der Entgeltgrundsätze nach Anlage 3 Nummer 2 ERegG von der Regulierungsbehörde zu genehmigen. Die Genehmigung ist zu erteilen, soweit die Ermittlung der Entgelte den Anforderungen der §§ 24 bis 40 und 46 ERegG und die Entgeltgrundsätze den Vorgaben der Anlage 3 Nummer 2 ERegG entsprechen.
76Die nationale Entgeltsystematik differenziert dabei grundsätzlich zwischen den Verkehrsdiensten des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) und des Schienengüterverkehrs (SGV) auf der einen Seite und dem SPNV auf der anderen Seite.
77Die Entgelte im SPFV und SGV setzen sich aus denjenigen Kosten zusammen, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen (variable Kosten) und aus Aufschlägen, die der Betreiber der Schienenwege zur Vollkostendeckung (Verteilung der Fixkosten) erheben kann. Um das Ziel der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes zu gewährleisten, ziehen die Antragstellerinnen in Ausprägung ihrer unternehmerischen Freiheit bei der Verteilung von Aufschlägen die der ökonomischen Theorienbildung entnommene „Ramsey-Boiteux-Regel“ heran.
78Demgegenüber ist für die Antragstellerinnen als Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes im SPNV für die Entgeltberechnung die Bestimmung des § 37 Abs. 1, Abs. 2 ERegG maßgeblich. Gemäß § 37 Abs. 1 ERegG gilt: Stehen den Ländern für die jeweilige Fahrplanperiode vom Bund Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere für den Schienenpersonennahverkehr (Regionalisierungsmittel), zur Verfügung, so haben Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes für Verkehrsdienste nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nummer 2 ERegG die Höhe der Entgelte für die Nutzung von Eisenbahnanlagen je Land und für Nutzung von Personenbahnhöfen je Aufgabenträgergebiet festzulegen. Diese Entgelte sind für jedes Land oder im Fall der Entgelte für die Nutzung von Personenbahnhöfen für jedes Aufgabenträgergebiet so zu bemessen, dass sie den durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre bei Eisenbahnanlagen im jeweiligen Land in der Netzfahrplanperiode 2020/2021 und bei Personenbahnhöfen im jeweiligen Aufgabenträgergebiet im Kalenderjahr 2021 entsprechen, § 37 Abs. 2 Satz 1 ERegG. Soweit sich der Gesamtbetrag der den Ländern zustehenden Regionalisierungsmittel seit dem Jahr 2021 bis zu dem Jahr, in dem das Entgelt tatsächlich zu zahlen ist, geändert hat – was aufgrund von Regelungen im Regionalisierungsgesetz jedes Kalenderjahr der Fall war und de lege lata auch künftig sein wird –, sind die Entgelte nach Absatz 1 mit der in § 5 Abs. 3 RegG festgesetzten jährlichen Änderungsrate anzupassen, § 37 Abs. 2 Satz 2 ERegG.
79Durch die in § 37 Abs. 2 ERegG normierte und als solche bezeichnete „Trassen- und Stationspreisbremse“ koppelt der Gesetzgeber die nach Absatz 1 länderspezifisch bzw. aufgabenträgergebietsspezifisch zu bildenden Entgelte zunächst an ein sog. „Basisjahr“ – das Kalenderjahr 2021 im Fall der Personenbahnhöfe bzw. die Netzfahrplanperiode 2020/2021 im Fall der Eisenbahnanlagen.
80Haben die Antragstellerinnen die Entgelte so bemessen, dass sie den „durchschnittlichen Entgelten“ für dieses Basisjahr entsprechen, sind die Entgelte mit der in § 5 Abs. 3 RegG festgesetzten jährlichen Änderungsrate anzupassen (sog. „Dynamisierung“), § 37 Abs. 2 Satz 2 ERegG.
81Die Änderungsraten selbst werden sodann außerhalb des Eisenbahnregulierungsgesetzes im Regionalisierungsgesetz, dort in § 5 RegG, näher bestimmt. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 RegG steigt ab dem Jahr 2017 bis einschließlich des Jahres 2022 der in Absatz 2 bezeichnete Betrag – dies sind 8 Milliarden Euro – jährlich um 1,8 Prozent. Ab dem Jahr 2023 bis einschließlich des Jahres 2031 steigt der in Absatz 2 bezeichnete Betrag jährlich um 3,0 Prozent, § 5 Abs. 3 Satz 2 RegG.
82Schließlich ist nach § 5 Abs. 10 Satz 1 ERegG die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr der bundeseigenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen, nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen. Hierzu heißt es in der aktuellen Gesetzesfassung des § 5 Abs. 10 Satz 2 RegG: Abweichend von § 37 Abs. 2 ERegG erhöhen sich die Entgelte für die Nutzung von Eisenbahnanlagen und für die Nutzung von Personenbahnhöfen in den Jahren 2023 bis 2025 um 1,8 Prozent.
83Letztlich gibt das Eisenbahnregulierungsgesetz in Verbindung mit dem Regionalisierungsgesetz für Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes hinsichtlich der Entgeltberechnung für Verkehrsdienste nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ERegG die folgende Formel vor:
84Genehmigungsfähiges Entgelt = durchschnittliches Entgelt des Basisjahres multipliziert mit der / den jährlichen Steigerungsrate(n) bis zum maßgeblichen Netzfahrplanjahr.
85Dabei sind den Eisenbahninfrastrukturunternehmern die Parameter „durchschnittliches Entgelt des Basisjahres“ sowie die „jährliche(n) Steigerungsrate(n)“ gesetzlich vorgeben.
86Durch die vorgenannten Regelungen hat der Gesetzgeber die Entwicklung der Entgelte für die Nutzung der Schienenwege und für die Nutzung von Personenbahnhöfen im SPNV an die Entwicklung der den Ländern insgesamt zur Verfügung stehenden Regionalisierungsmittel nach dem Regionalisierungsgesetz im gleichen Zeitraum gekoppelt. Da den Antragstellerinnen zugleich durch den nationalen Gesetzgeber eine Vollkostendeckungspflicht auferlegt worden ist, können tatsächlich auftretende Kostensteigerungen (durchschnittliche Entgelterhöhung im TPS 2025: 6,0 Prozent), die oberhalb der Dynamisierungsrate des Regionalisierungsgesetzes liegen, nur durch deren Umlegung auf andere Verkehrsdienste bzw. deren Marktsegmente kompensiert werden. Dies führt zu einer überproportional starken Belastung dieser Verkehrsdienste. Exemplarisch zeigt sich dies an den mit der erteilten Genehmigung (TPS 2025) erfolgten Entgeltsteigerungen für die Verkehrsdienste SGV (16,2 %) und SPFV (17,7 %) gegenüber dem Anstieg im SPNV (0,6 %).
87Diese Problematik hat der nationale Gesetzgeber bei Einfügung des § 37 Abs. 2 ERegG sehenden Auges hingenommen und von anderen Möglichkeiten, etwa dem fiskalischen Ausgleich der durch Kostensteigerungen verursachten Deckungslücken durch den Bund oder dem Erlass von Entgeltbestimmungen vergleichbar denen des SGV oder SPFV, keinen Gebrauch gemacht.
88b. Das in § 37 Abs. 1, Abs. 2 ERegG normierte Regelungskonstrukt ist von historischen Entwicklungen geprägt. Im Zuge einer Grundgesetzänderung im Rahmen der sog. „Bahnreform“ im Jahr 1994 ging im Rahmen der Regionalisierung des Schienenverkehrs die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr vom Bund auf die Länder über, vgl. Art. 87e i.V.m. Art. 143a Abs. 3 GG. Den Aufwand der Länder gleicht der Bund auf Grundlage von Art. 106a GG finanziell aus. Das Regionalisierungsgesetz, das als Aufgabe der Daseinsvorsorge die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr bestimmt, teilt die erstmals im Jahr 1996 als Regionalisierungsmittel bereitgestellten Bundesgelder auf die Länder auf. Im Laufe der Jahre wurde die Höhe der im Regionalisierungsgesetz bestimmten Regionalisierungsmittel mehrmals durch Gesetz angepasst. Da die über die Jahre erfolgten Preissteigerungen von Trassen- und Stationsentgelten die Entwicklung der Mittelzuweisung überstiegen, entschied sich der Gesetzgeber dazu, die Entgeltsteigerungen im SPNV zu deckeln und insoweit „wettbewerbsorientierte“ Preise vorzugeben. In diesem Zusammenhang wich er bei Erlass des Eisenbahnregulierungsgesetzes mit der Regelung des § 37 ERegG von der ansonsten hinsichtlich der übrigen Entgeltbestimmungen weitgehend erfolgten „1-zu-1“-Umsetzung der Richtlinie 2012/34/EU ab, erhöhte die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf 8 Milliarden Euro (§ 5 Abs. 2 RegG) und schrieb diese in den Folgejahren mit dort näher genannten jährlichen Änderungsraten fort.
893. Vorstehendes gibt Anlass für das Vorabentscheidungsverfahren. Der Gerichtshof wird um Klärung ersucht, ob der nationale Gesetzgeber mit den in § 37 Abs. 2 ERegG gemachten Vorgaben in einem Maß in die der den Antragstellerinnen als Infrastrukturbetreiberinnen obliegende Entscheidungsfreiheit eingreift, die der in Art. 29 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU niedergelegten Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers, deren normativen Gehalt der Gerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen insb. zur Vorgängerrichtlinie konturiert hatte, bei der Entgeltberechnung zuwiderläuft.
90a. Ausgangspunkt dieser Annahme ist, dass gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 2001/14/EG die durch die Richtlinie als Gestaltungsinstrument geschaffene Entgeltregelung auch dazu dient, die Unabhängigkeit des Betreibers der Infrastruktur zu gewährleisten.
91Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2017, C-489/15 [ECLI:EU:C:2017:834], CTL Logistics GmbH - Rn. 38 unter Bezugnahme auf seine Urteile vom 28. Februar 2013, C‑483/10 [EU:C:2013:114], Kommission/Spanien - Rn. 44, und vom 28. Februar 2013, C‑556/10 [EU:C:2013:116], Kommission/Deutschland - Rn. 82.
92Gemäß Art. 29 Abs. 1 UnterAbs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU schaffen die Mitgliedstaaten eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Art. 4 der Richtlinie 2012/34/EU zu wahren ist. Vorbehaltlich dieser Bedingung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Infrastrukturbetreiber, vgl. Art. 29 Abs. 1 UnterAbs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU. Gemäß Art. 29 Abs. 1 UnterAbs. 4 der Richtlinie 2012/34/EU nimmt der Infrastrukturbetreiber die Berechnung und Erhebung des Wegeentgeltes gemäß den geltenden Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung vor. Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU ist der Infrastrukturbetreiber unter Beachtung der Rahmenbedingungen betreffend die Entgelterhebung und die Kapazitätszuweisung und der von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelvorschriften für seine eigene Geschäftsführung, Verwaltung und interne Kontrolle verantwortlich.
93Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte bereits zur Richtlinie 2001/14/EG entschieden, dass der Betreiber der Infrastruktur, damit das Ziel der Wahrung der Unabhängigkeit seiner Geschäftsführung gewährleistet wird, in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen können muss, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können.
94Vgl. EuGH, Urteil vom 28. Februar 2013, C-483/10 - Ls. und Rn. 49, 37 ff.
95Die mitgliedstaatlichen abgesteckten Rahmen der Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen sollten u.a. den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur einen Anreiz geben, die Nutzung ihrer Fahrwege zu optimieren, was nicht gelänge, wenn sich ihre Rolle darauf beschränkte, in jedem konkreten Fall den Betrag des Entgelts unter Rückgriff auf eine Formel zu berechnen, die – im zu entscheidenden Fall – im Vorhinein durch Ministerialerlass festgelegt worden sei. Der gewisse Spielraum erstrecke sich auch auf die Festsetzung der Höhe der Entgelte. Auch die Infrastruktur betreffenden Investitionsanreize verlangten gewisse Spielräume im Rahmen der Entgeltregelung.
96Vgl. EuGH, Urteil vom 28. Februar 2013, C-483/10 - Rn. 44 ff.
97In diesem Kontext nimmt der Gerichtshof ausdrücklich Bezug auf die Ausführungen des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen und führt aus, der Infrastrukturbetreiber habe von der Entgeltregelung als Gestaltungsinstrument Gebrauch zu machen. In den in Bezug genommenen Ausführungen des Generalanwalts hatte dieser vorgetragen:
98„Die Richtlinie 2001/14 schafft nämlich einen dem Betreiber der Infrastruktur vorbehaltenen Entgeltbereich. Gegenüber dem Staat ergibt sich die Obergrenze dieses Bereichs aus dem Erfordernis eines Spielraums bei der Festlegung des Wegeentgelts, der es ermöglicht, davon als Gestaltungsinstrument Gebrauch zu machen. Um das Ziel der unabhängigen Geschäftsführung sicherzustellen, darf nur der normative und finanzielle Rahmen vom Staat definiert werden. Im Verhältnis zu den nicht unabhängigen Betreibern entspricht die Untergrenze dieses Bereichs – unterhalb deren nur die „Erhebung“ verbleibt – der Unterscheidung zwischen der bloßen Berechnung des Entgelts auf der Grundlage objektiver Daten und Kriterien einerseits und den Entscheidungen, bei denen eine Auswahl und Würdigungen in Bezug auf die in solchen Berechnungen enthaltenen Faktoren erforderlich sind, andererseits. Die letztgenannte Unterscheidung ist maßgebend für die Beurteilung der Notwendigkeit des Bestehens einer unabhängigen entgelterhebenden Stelle im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14 für den Fall, dass der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht unabhängig ist.“
99Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 6. September 2012, C-483/10 [ECLI:EU:C:2012:524] - Rn. 50.
100Auch in weiteren Entscheidungen,
101Urteile vom 11. Juli 2013, C-545/10 [ECLI:EU:C2013:509], Kommission / Tschechische Republik- Rn. 33 ff., vom 3. Oktober 2013, C‑369/11 [ECLI:EU:C:2013:636], Kommission/Italien - Rn. 41, und vom 9. November 2017, C-489/15 - Rn. 77 ff.,
102entschied der Gerichtshof, dass die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Betreibers der Infrastruktur voraussetzt, dass dieser im Rahmen des von den Mitgliedstaaten definierten Rahmens die Entgelte für die Nutzung der Infrastruktur berechnet und erhebt. Er entschied in der letztgenannten Entscheidung anhand des Beispiels der Anreize der Fahrwegoptimierung unter Bezug auf die ehemalig in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschende Rechtspraxis, dass die (spätere) Festlegung des Entgelts durch ein Zivilgericht im Rahmen der Billigkeitskontrolle und einer Entscheidung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) den Spielraum des Betreibers der Infrastruktur in einem nicht mit den Zielen der Richtlinie 2001/14/EG zu vereinbaren Maß einengt. Die Anreizsetzung betreffend die Fahrwegoptimierung verlange, dass der Infrastrukturbetreiber höhere Entgelte festlegen oder beibehalten können müsse.
103Vgl. Urteil vom 9. November 2017, C-489/15 - Rn. 79 ff.
104Den Begriff der „Berechnung des Entgelts“ hatte der Gerichtshof bereits im Rahmen der Richtlinie 2001/14/EG im Kontext der Unabhängigkeit des Eisenbahninfrastrukturbetreibers gegenüber Eisenbahnverkehrsunternehmen dahingehend konkretisiert, dass die dem Infrastrukturbetreiber zur Verfügung stehende gewisse Flexibilität es ihm erlauben muss, zumindest Entscheidungen über die Auswahl und die Beurteilung der Faktoren oder Parameter zu treffen, auf deren Grundlage die Berechnung durchgeführt wird.
105Urteil vom 28. Februar 2013, C-473/10 [ECLI:EU:C:2013:113], Europäische Kommission / Ungarn - Rn. 79.
106Zur Richtlinie 2012/34/EU, gemäß deren Art. 65 die Richtlinie 2001/14/EG aufgehoben wurde, und zur Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers im Rahmen seiner Geschäftsführung verhielt sich der Gerichtshof im Jahr 2021.
107Vgl. Urteil vom 9. September 2021, C-144/20 [ECLI:EU:C:2021:717], LatRailNet - Rn. 41 ff.
108Er führte aus, dass Art. 4 Abs. 2 und Art 29. Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU Bestimmungen seien, die vergleichbar Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers zum Ziel hätten. Die auch gegenüber der Regulierungsstelle geltende Unabhängigkeit des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur bei der Berechnung der Höhe der Entgelte – insoweit nimmt der Gerichtshof u.a. Bezug auf seine Entscheidung vom 28. Februar 2013 (C-473/10) – sei im Licht des Gleichgewichts zu beurteilen, das der Unionsgesetzgeber zwischen dem Betreiber der Infrastruktur, insbesondere bei der Ausübung seiner wesentlichen Funktionen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU, und den anderen Stellen, denen diese Richtlinie Befugnisse zuweist, herstellen wolle. Soweit die Regulierungsbehörde im Rahmen einer Rechtmäßigkeitskontrolle einschreite, dürfe sie dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, Änderungen anzeigen, die an der Entgeltregelung vorgenommen werden müssten, um die Unvereinbarkeiten dieser Regelung mit den Anforderungen der Richtlinie 2012/34/EU zu beseitigen, mithin um richtlinienkonforme Zustände zu schaffen. Die Regulierungsstelle sei jedoch nicht befugt, das Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübe, dazu zu zwingen, sich einer behördlichen Zweckmäßigkeitsbeurteilung zu fügen, da die Regulierungsstelle dadurch den Spielraum beeinträchtigen würde, über den dieser Betreiber verfügen müsse.
109Zusammenfassend qualifiziert der Gerichtshof die Berechnung der Nutzungsentgelte als notwendigen Bestandteil der Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers. Dessen Entscheidung darf nach der Lesart des Gerichts weder staatlich ersetzt noch über gewisse Grenzen hinausgehend überlagert werden – ihm muss ein tatsächlich wahrnehmbarer „gewisser“ Spielraum verbleiben. Dieser setzt jedenfalls Entscheidungen über die Auswahl und die Beurteilung der Faktoren oder Parameter, auf deren Grundlage die Entgeltberechnung durchgeführt wird, voraus.
110b. Dies zu Grunde gelegt beeinträchtigt nach Auffassung des Gerichts die Entgeltberechnung nach § 37 Abs. 2 ERegG den Spielraum des Infrastrukturbetreibers und verletzt dessen Geschäftsführung in ihrer Unabhängigkeit.
111In diesem Zusammenhang ist mit Blick auf die Bedeutung der unternehmerischen Entscheidung des Infrastrukturbetreibers zu beachten, dass Entgelte für die Nutzung der Fahrwege der Eisenbahn und von Serviceeinrichtungen gerade der Finanzierung der Unternehmenstätigkeit der Infrastrukturbetreiber und der Betreiber der Serviceeinrichtungen dienen, vgl. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU, und es sich bei der Entgeltberechnung um Geschäftsführungsentscheidungen von höchster unternehmerischer Bedeutung handelt (vgl. Art. 3 Ziffer 2 Buchst. f) der Richtlinie 2012/34/EU).
112Nach Auffassung der Kammer hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 9. September 2021 hinreichend deutlich gemacht, an seiner zuvor zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG ergangenen Rechtsprechung zur Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers auch unter Geltung der hier maßgeblichen Nachfolgerichtlinie vollständig festzuhalten.
113Zudem konkretisiert die Richtlinie 2012/34/EU verglichen mit der Richtlinie 2001/14/EG die Unabhängigkeit der Geschäftsführung in Bezug auf Erhebung von Entgelten im Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU und erwähnt die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers gegenüber dem Mitgliedstaat nunmehr an verschiedenen Stellen im Normtext der Richtlinie (Art. 4 Abs. 2, Art. 29) sowie mittelbar in den Erwägungsgründen 43 und 66. Hieraus ist abzuleiten, dass der Richtliniengeber der Unabhängigkeit der Geschäftsführung von Infrastrukturbetreibern gegenüber dem Mitgliedstaat unverändert einen enorm hohen Stellenwert beimisst. Dem nationalen Parlament räumt Art. 29 Abs. 1 UnterAbs. 5 der Richtlinie 2012/34/EU unter weiteren Voraussetzungen nur ein Prüfungsrecht der vom „Infrastrukturbetreiber festgelegten Entgelte“ und ein etwaiges weiteren Voraussetzungen unterworfenes Änderungsrecht ein.
114Das Gericht hat bereits vorstehend erläutert, dass sich die genehmigungsfähigen Entgelte nach nationalem Recht mit der Formel
115„durchschnittliches Entgelt des Basisjahres multipliziert mit der / den jährlichen Steigerungsrate(n) bis zum maßgeblichen Netzfahrplanjahr“
116bestimmen lassen. Gemessen daran verbleiben dem Infrastrukturbetreiber keine hinreichenden Entscheidungsspielräume.
117Weder das durchschnittliche Entgelt des Basisjahres noch die jährliche(n) Steigerungsrate(n) als maßgebliche Parameter des Rechenweges liegen in der Entscheidungshoheit des Infrastrukturbetreibers.
118Insoweit folgt eine hinreichende Unabhängigkeit aus Sicht des Gerichts insbesondere nicht daraus, dass die Antragstellerinnen Einfluss auf die Ausgangsbasis der Berechnung – die Durchschnittsentgelte der Netzfahrplanperiode 2020/2021 bzw. das Kalenderjahr 2021 – durch das damalige Verwaltungsverfahren hatten. Es entspricht gerade der Unabhängigkeit der Entscheidungsfreiheit der Geschäftsführung, sich selbst im Fall von ehemals (potenziell) gewollten Entscheidungen von diesen lösen zu können und die künftige Entgeltberechnung, die auch geänderten Wettbewerbsbedingungen folgen können muss, unabhängig von Altbestimmungen vornehmen zu können. Losgelöst davon war den Antragstellerinnen bei Beantragung der Entgelte der Netzfahrplanperiode 2020/2021 nicht einmal bewusst, dass diese mit Beschluss vom 21. September 2020 genehmigten Entgelte später das neue Basisjahr bilden würden. Denn erst mit Gesetz vom 9. Juni 2021 hatte der Gesetzgeber das bis dahin maßgebliche Basisjahr 2016/2017 durch die heute geltende Vorgabe ersetzt. Überdies folgt hieraus zugleich, dass bereits die Bildung der Entgelte der Netzfahrplanperiode 2020/2021 vergleichbar problembehaftet war. Auch insoweit war den Antragstellerinnen u.a. der Parameter „Basisjahr“ (= Netzfahrplanperiode 2016/2017) zwingend vorgegeben.
119Schließlich gibt der Gesetzgeber dem Infrastrukturbetreiber im Rechenweg auch den verbliebenen Parameter – die Steigerungsrate(n) – jeweils gesetzlich vor. Dabei kommt es insbesondere nicht darauf an, mit welcher Dynamisierungsrate die Entgelte des Basisjahres für die Folgejahre anzupassen sind. Bereits der Umstand, dass insoweit strikte, aus dem Regionalisierungsgesetz folgende Vorgaben gesetzt werden, führt dazu, dass dem Infrastrukturbetreiber insoweit kein Entscheidungsspielraum zukommt.
120Insbesondere nimmt das gesetzliche Konstrukt der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers nicht nur die Möglichkeit, über die vorgegebenen Kostensteigerungen hinausgehende und aus einer höheren Kostenentwicklung folgende Kosten den Entgelten des SPNV zu Grunde zu legen oder gar umgekehrt Kostensenkungen in gewünschtem Umfang durchzureichen. Es zwingt die Antragstellerinnen aufgrund der nationalen Verpflichtung zur Vollkostendeckung zusätzlich sogar dazu, drohende Unterdeckungen durch Entgeltsteigerungen im SPFV und SGV auszugleichen, obwohl dies potentiell dem unternehmerischen Interesse widersprechen könnte.
121Auch könnten insbesondere über mehrere Jahre folgende überproportional stark gestiegene Entgelte im SPFV und SGV zu einem erheblichen Rückgang dieser Verkehre führen, was sich wiederum auf die Anreizwirkung der Infrastrukturbetreiber, entsprechende Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur zu tätigen, wo diese wirtschaftlich sinnvoll sind, auswirken dürfte.
122Vgl. hierzu nochmals EuGH, Urteil vom 28. Februar 2013, C-473/10 - Rn. 45.
123Das Gericht teilt nicht die etwa von der Antragsgegnerin vorgetragene Rechtsansicht, den Antragstellerinnen gegenüber werde gesetzlich nur die Dynamik des Anstiegs begrenzt und nicht das Einzelentgelt vorgeben, da ein Preis nur dann vorgeschrieben würde, wenn er ohne inhaltliche Entscheidung des Infrastrukturbetreibers feststünde oder ausgerechnet werden könnte. Es handelt sich nach dem Verständnis des Gerichts bei den Vorgaben in § 37 Abs. 2 ERegG nicht mehr um eine einzelne Entgeltregel i.S.v. Art. 29 Abs. 1 UnterAbs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers wahren würde. Vielmehr hat der Betreiber der Infrastruktur im Rahmen von § 37 Abs. 2 ERegG unter Beachtung des vom Staat aufgestellten normativen und durch die Regionalisierungsmittel auch finanziell vorgegebenen Rahmens die Entgelte im Einzelfall in einer Weise zu beantragen, die sich in einer die bloße Berechnung des Entgelts auf der Grundlage eines vom Staat vorgegebenen Rechenwegs erschöpft. Dies widerspricht nach Auffassung des Gerichts eklatant der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil vom 28. Februar 2013 (C-473/10) und seiner Folgeentscheidungen.
124Damit kommt dem Infrastrukturbetreiber allenfalls insoweit ein „Spielraum“ zu, im Rahmen der durchschnittlichen Entgeltbildung nach § 37 Abs. 2 ERegG Untersegmente zu bilden und das fixe Durchschnittsentgelt je Land auf diese zu verteilen, soweit die relevanten Gruppen jeweils mit dem für ihre Gruppe fortgeschriebenen Durchschnittsentgelt in der Netzfahrplanperiode 2020/2021 belegt waren. Auch wenn es je Bundesland kein einheitliches Entgelt für Trassen und Personenbahnhöfe geben muss, kann die Höhe des durchschnittlichen Entgelts innerhalb der Länder bzw. der Aufgabenträgergebiete und damit ein wesentlicher Faktor / Parameter der Berechnung hierdurch jedoch nicht verändert werden. Dies genügt nicht den Vorgaben der Richtlinie.
125Das Gericht erachtet zur Wahrung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung im Sinne der Richtlinie auch nicht die Möglichkeit des Infrastrukturbetreibers als ausreichend, von unzweifelhaft im Rahmen der Entgeltberechnung für die Verkehrsdienste SPFV und SGV vorhandenen Spielräumen Gebrauch zu machen. Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass die im Verfahren in Streit stehenden Entgelte des SPNV den überwiegenden Teil der für alle Verkehre zu erhebenden Entgelte, mithin am Gesamtentgeltvolumen, ausmachen. Es ist sogar so, dass die Entgeltbildung nach § 37 Abs. 2 ERegG aus den vorgenannten Gründen erhebliche Auswirkungen über den Verkehrsdienst SPNV hinaus auf die Verkehrsdienste SPFV und SGV hat und die dort vorhandenen Entscheidungsspielräume verengt.
126Soweit dem Infrastrukturbetreiber nach § 37 Abs. 3 ERegG die Möglichkeit gegeben wird, mittels Vertrags abweichende Vereinbarungen mit Gebietskörperschaften zu treffen, genügt dies nicht, um der Unabhängigkeit der Geschäftsführung hinreichend Rechnung zu tragen. Zum einen ist der Anwendungsbereich auf das Betreiben von Personenbahnhöfen beschränkt; Schienenwege sind insoweit nicht erfasst. Zum anderen ist eine vertragliche Vereinbarung vorausgesetzt, die der Infrastrukturbetreiber nicht einseitig erreichen kann. Auch die in § 37 Abs. 4 bis 7 ERegG geschaffenen Überprüfungs- und Berichtspflichten der Regulierungsbehörde, die insbesondere Unterdeckungen nachträglich transparent machen sollen, vermag daran nichts zu ändern. Sie dient nur der nachträglichen Überprüfung der Kostendeckung und berührt nicht die Unabhängigkeit der Geschäftsführung. Selbiges gilt für die Befreiungsvorschrift in § 2a Abs. 4 ERegG, die an enge Voraussetzungen geknüpft ist, welche die Antragstellerinnen nicht erfüllen können.
1274. Abschließend schlägt das Gericht dem Gerichtshof vor, die Vorlagenfrage wie folgt zu beantworten:
128Art. 4 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU sind dahingehend auszulegen, dass ihnen nationale Regelungen entgegenstehen, die dem Infrastrukturbetreiber im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs vorgeben, die Berechnung der genehmigungsbedürftigen Entgelte durch eine Multiplikation von durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre eines gesetzlich bestimmten Basisjahres mit einer gesetzlich vorgegebenen jährlichen Dynamisierungsrate vorzunehmen.
129Der Beschluss ist unanfechtbar.