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Nach § 202 Abs. 4 Satz 1 TKG kann die Bundesnetzagentur vorläufige Maßnahmen ergreifen, wenn durch die Verletzung von Verpflichtungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar und erheblich gefährdet wird oder die Pflichtverletzung bei anderen Anbietern oder Nutzern von Telekommunikationsnetzen und -diensten zu erheblichen wirtschaftlichen oder betrieblichen Problemen führt.
Die Antragsgegnerin hat sich durch die Aufhebung der Maßnahme im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 202 Abs. 4 Satz 2 TKG im vorliegenden Fall nicht freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben.
1. Das in der Hauptsache für erledigt erklärte Verfahren wird eingestellt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
2. Der Streitwert wird auf 314.910,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2In entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärte Verfahren einzustellen.
3Unter den gegebenen Umständen entspricht es billigem Ermessen i.S.v. § 161 Abs. 2 VwGO, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hätte der Antrag der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg gehabt. Die streitgegenständliche Verfügung der Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2023 war nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
4Nach § 202 Abs. 4 Satz 1 TKG kann die Bundesnetzagentur vorläufige Maßnahmen ergreifen, wenn durch die Verletzung von Verpflichtungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar und erheblich gefährdet wird oder die Pflichtverletzung bei anderen Anbietern oder Nutzern von Telekommunikationsnetzen und -diensten zu erheblichen wirtschaftlichen oder betrieblichen Problemen führt.
5Diese Voraussetzungen lagen hier nach summarischer Prüfung vor.
6Es spricht überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin Verpflichtungen verletzte und dadurch unmittelbar und erheblich die öffentliche Sicherheit gefährdete.
7Die Antragstellerin verletzte nach summarischer Prüfung ihre Verpflichtung aus § 73 Abs. 3 Satz 3 TKG. Danach haben Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze und die Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste dem Endnutzer bei Vertragsschluss notwendige Zugangsdaten und Informationen für den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen und die Nutzung der Telekommunikationsdienste zur Verfügung zu stellen.
8Zu den hiernach bereits bei Vertragsschluss zur Verfügung zu stellenden notwendigen Informationen zur Nutzung der Telekommunikationsdienste zählt auch die Information über die Notwendigkeit des Vorhaltens eines DSL-Modems und eines Routers bzw. eines Routers mit integriertem DSL-Modem. Diese ausdrückliche Information ist besonders dann erforderlich, wenn der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste – wie hier die Antragstellerin – diese erforderlichen Telekommunikationsendeinrichtungen seinen Kunden selbst nicht zu Verfügung stellt.
9Das Schreiben der Antragstellerin, in welchem sie ihren Neukunden die in den Router einzutragenden Zugangsdaten mitteilt, wird den Anforderungen des § 73 Abs. 3 Satz 3 TKG bei summarischer Prüfung nicht gerecht, da dieses Schreiben zum einen erst nach Vertragsschluss an den Kunden gesendet wird und zum anderen auch nur die Zugangsdaten enthält und nicht auch die ausdrückliche Information über die Notwendigkeit des Vorhaltens eines DSL-Modems und eines Routers bzw. eines Routers mit integriertem DSL-Modem. Dass die bloße Mitteilung der Zugangsdaten den Anforderungen des § 73 Abs. 3 Satz 3 TKG nicht genügt, zeigt sich schon daran, dass auch der Gesetzgeber es für erforderlich erachtet hat, die notwendigen Informationen für die Nutzung der Telekommunikationsdienste gesondert aufzuführen.
10Dass die bloße Mitteilung der Zugangsdaten keine ausreichende Information i.S.d. § 73 Abs. 3 Satz 3 TKG darstellt, zeigt sich im Übrigen daran, dass die Antragstellerin selbst im gerichtlichen Verfahren ein aus ihrer Sicht beispielhaft zur Nutzung der Telekommunikationsdienste befähigendes Routermodell aufgezeigt hat, welches aber nicht über ein integriertes DSL-Modem verfügt und insofern allein gerade noch nicht zur Nutzung der von ihr angebotenen Telekommunikationsdienste befähigt.
11Die Antragstellerin verletzte nach summarischer Prüfung auch ihre Verpflichtung aus § 59 Abs. 1 Satz 2 TKG. Danach haben Anbieter von Internetzugangsdiensten und öffentlich zugänglichen nummerngebundenen interpersonellen Telekommunikationsdiensten Endnutzern vor und während des Anbieterwechsels ausreichende Informationen zu erteilen.
12Dem kam die Antragstellerin nach summarischer Prüfung nicht nach, indem unter der von ihr angegebenen Telefonnummer auch nach langer Wartezeit niemand zu erreichen war, um Nachfragen der Nutzer bei Problemen während des Anbieterwechsels zu beantworten.
13Die Antragstellerin verletzte nach summarischer Prüfung außerdem ihre Pflicht nach § 59 Abs. 1 Satz 4 Var. 3 TKG. Danach haben Anbieter von Internetzugangsdiensten und öffentlich zugänglichen nummerngebundenen interpersonellen Telekommunikationsdiensten dafür zu sorgen, dass der Anbieterwechsel oder die Rufnummernmitnahme nicht ohne vertragliche Vereinbarung des Endnutzers mit dem aufnehmenden Anbieter durchgeführt wird.
14Dies setzt voraus, dass ein Anbieter von Internetzugangsdiensten und öffentlich zugänglichen nummerngebundenen interpersonellen Telekommunikationsdiensten die notwendigen organisatorischen Maßnahmen trifft, um jederzeit bis zum Abschluss des Anbieterwechselvorgangs sicherzustellen, dass die vertragliche Vereinbarung auch weiterhin besteht und nicht zwischenzeitlich widerrufen oder angefochten wurde.
15Diese Voraussetzung erfüllte die Antragstellerin nach summarischer Prüfung nicht. Es bestehen anhand der von der Antragsgegnerin vorgelegten Beschwerdevorgänge genügend Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei der Antragstellerin organisatorische Defizite bei der Verarbeitung von Widerrufen und Anfechtungen bestanden. Diese organisatorischen Defizite führten nach summarischer Prüfung dazu, dass die Antragstellerin selbst nicht überblicken konnte, ob der zunächst geschlossene Vertrag im Zeitpunkt des Anbieterwechselvorgangs nicht bereits widerrufen oder angefochten war.
16Dieser Umstand wirkte bei der Antragstellerin besonders schwer, da diese nach summarischer Prüfung ein überdurchschnittlich hohes Aufkommen an Vertragswiderrufen und -anfechtungen durch die Endkunden hat. Dies dürfte daraus resultieren, dass ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Beschwerdevorgänge vielen Kunden nicht bewusst ist, dass diese mit der Rücksendung des Auftragsschreibens einen Anbieterwechsel beauftragen. Eine Vielzahl der Kunden dürfte vielmehr davon ausgegangen sein, lediglich den Tarif bei ihrem bestehenden Anbieter von Internetzugangsdiensten und öffentlich zugänglichen nummerngebundenen interpersonellen Telekommunikationsdiensten zu wechseln. Ob das überdurchschnittlich häufige Auftreten dieses Irrtums bei den Endkunden von der Antragstellerin bei der Verwendung ihrer Werbebriefe beabsichtigt war, bedarf hier keiner Entscheidung.
17Diese Pflichtverletzungen der Antragstellerin führten nach summarischer Prüfung auch zu einer unmittelbaren und erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
18Unter der öffentlichen Sicherheit ist die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie insbesondere Leben, Gesundheit und Freiheit, sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt zu verstehen. Erheblich ist die Gefahr dann, wenn ein hochrangiges Rechtsgut, wie etwa Leben oder Gesundheit betroffen ist. Das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gefahr erhöht die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.
19Nach summarischer Prüfung lag eine unmittelbare und erhebliche Gefahr für Gesundheit und Leben der vom Anbieterwechsel zur Antragstellerin betroffenen Endnutzer vor.
20Durch die vorgenannten Pflichtverletzungen kam es nach summarischer Prüfung während und nach dem Anbieterwechsel bei einer Vielzahl von Endnutzern zu länger andauernden Ausfällen der Nutzungsmöglichkeit der Telekommunikationsdienste. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin die technischen Voraussetzungen für den Telekommunikationszugang nach erfolgtem Anbieterwechsel geschaffen hat, wenn – wie hier – die Endkunden diesen aufgrund fehlender Informationen tatsächlich nicht nutzen können. Ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Beschwerdevorgänge handelt es sich nach summarischer Prüfung bei einem Großteil der Neukunden der Antragstellerin um ältere und/oder nicht-technikaffine Personen. Ein Großteil der betroffenen Endnutzer hatte bislang keinen Internetzugang über den Festnetzanschluss. Auch die Beigeladene hat mitgeteilt, dass nach ihren Ermittlungen das Durchschnittsalter der im Juni 2023 vom Anbieterwechsel betroffenen Kunden bei über 70 Jahren lag. Gerade bei dieser Endnutzergruppe ist ein funktionierender Festnetztelefonanschluss für die schnelle Kontaktaufnahme in medizinischen Notfällen essentiell. Denn die hier betroffene Bevölkerungsgruppe dürfte häufig kein Mobiltelefon als alternative Möglichkeit zum Absetzen eines Notrufs haben. Durch den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit des Festnetztelefonanschlusses funktionieren auch Hausnotrufknöpfe nicht.
21Bereits der Gesetzgeber hat der Möglichkeit der Absetzung eines Notrufs durch die Sonderregelung in § 164 TKG (in Teil 10, Abschnitt 1: „Öffentliche Sicherheit“) besondere Bedeutung zugemessen. Erwägungsgrund 296 der Richtlinie (EU) 2018/1972, welche durch das aktuelle TKG umgesetzt wird, macht deutlich, dass auch der Richtliniengeber unter anderem die hier betroffenen älteren Personen als besonders vulnerable Endnutzergruppe erkannt hat.
22Aufgrund der Vielzahl der Wechselwünsche (letzter Stand: etwa 15.000 Telekommunikationsanschlüsse) und der deutlich überdurchschnittlich betroffenen, vulnerablen Endnutzergruppe ist es auch unter der Berücksichtigung der erhöhten Anforderungen der Unmittelbarkeit der Gefahr hinreichend sicher, dass es ohne das Einschreiten der Antragsgegnerin zu Schäden an Gesundheit oder Leben von betroffenen Endnutzern gekommen wäre.
23Ob zusätzlich die betrieblichen Probleme der Beigeladenen aufgrund des durch die Wechselvorgänge zur Antragstellerin erwarteten deutlich erhöhten Beschwerdeaufkommens die Erheblichkeitsschwelle überschritten, kann vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen dahinstehen.
24Die von der Antragsgegnerin getroffene Maßnahme war nach summarischer Prüfung auch ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig. Es ist insbesondere kein milderes, gleich effektives Mittel ersichtlich. Eine Anordnung gegenüber der Antragstellerin, die Pflichtverletzungen abzustellen, verbunden mit der Androhung eines Zwangsgelds, wäre – jedenfalls unter zeitlichen Gesichtspunkten – nicht gleich effektiv gewesen. Die Maßnahme war nach summarischer Prüfung auch angemessen. Dabei verkennt das Gericht nicht die erheblichen Folgen der Maßnahme für die Antragstellerin, indem diese faktisch verhinderte, dass die Antragstellerin Neukunden von der Beigeladenen übernehmen konnte. Dies hatte die Antragstellerin aber in Anbetracht der überragend wichtigen Rechtsgüter der Gesundheit und des Lebens (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der betroffenen Endkunden und der Bedeutung, die der Gesetzgeber der funktionierenden Telekommunikationsmöglichkeit hinsichtlich Notrufen beimisst, hinzunehmen. Im Übrigen hat die Antragstellerin es selbst in der Hand, sich gesetzeskonform zu verhalten, und dadurch die Gefahr für Gesundheit und Leben ihrer Kunden abzuwenden.
25Die Antragsgegnerin durfte die Maßnahme im Rahmen ihres Auswahlermessens und zwecks effektiver Gefahrenabwehr an die Beigeladene richten.
26Schließlich hat sich die Antragsgegnerin durch die Aufhebung der Maßnahme im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 202 Abs. 4 Satz 2 TKG auch nicht freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben, da sie die Entscheidung zur Aufhebung der Maßnahme nicht mit deren bereits anfänglicher Rechtswidrigkeit, sondern lediglich mit dem Wegfall der Erforderlichkeit aufgrund der neueren Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf begründet hat.
27Die Kosten der Beigeladenen waren nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO der Antragstellerin aufzuerlegen, da die Beigeladene selbst kein Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO eingegangen ist, indem diese keinen Antrag gestellt hat.
28Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 53 Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG). Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 40 GKG) belief sich auf 314.910,00 Euro. Denn die Antragstellerin macht gegenüber Kunden einen entgangenen, pauschalisierten Gewinn für die gesamte Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten in Höhe von 419,88 Euro (24 Monate * 34,99 Euro/Monat / 2) geltend. Nach Art. 30 Abs. 6 S. 3 Richtlinie (EU) 2018/1972 können vorläufige Maßnahmen i.S.d. § 202 Abs. 4 TKG grundsätzlich bis zu drei Monate gelten. Zum Zeitpunkt der Antragstellung betraf die Maßnahme etwa 12.000 Wechselvorgänge. Der sich so ergebende Betrag von 629.820,00 Euro (= 419,88 Euro * 12.000 * 3/24) war i.S.d. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Eilverfahren zu halbieren.
29Rechtsmittelbelehrung
30Ziffer 1 dieses Beschlusses ist unanfechtbar (entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 2, § 158 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
31Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
32Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
33Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem das Verfahren sich erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
34Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
35Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
36Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.