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Soweit die Klägerinnen die Klage teilweise zurückgenommen haben und soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Beschlusses vom 17. Januar 2018 (Az.: N01) verpflichtet, den Entgeltgenehmigungsantrag der Klägerinnen hinsichtlich der Marktsegmentierung „Nacht“ (Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB), des „Gefahrgutganzzugs“ (Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB) sowie des „Gefahrgutgüternahverkehrszugs“ (Ziffer 6.2.1.4.3.1. der SNB) ohne die in Ziffer 2. a. und c. des Beschlusses vom 17. Januar 2018 tenorierten Änderungen zu genehmigen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen jeweils zu 3/14 und die Beklagte zu 4/7.
Das Urteil ist wegen der Kosten für die Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen zudem die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung und die Revision werden zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin zu 1. ist eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, die Klägerin zu 2. ist eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 1. Beide betreiben gemeinsam die mit Abstand größten Schienennetze in der Bundesrepublik Deutschland. Für die Nutzung dieser Schienennetze verlangen die Klägerinnen Nutzungsentgelte, die jährlich in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen (SNB) veröffentlicht und vorab durch die Bundesnetzagentur zu genehmigen sind.
3Am 6. Oktober 2017 beantragten die Klägerinnen unter Beifügung entsprechender Antragsunterlagen auf der Grundlage von § 45 des Eisenbahnregulierungsgesetzes (ERegG) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich vom 29. August 2016 (BGBl. I S. 2082 ff.) die Genehmigung der für die Erbringung des Mindestzugangspakets geltenden Entgelte und Entgeltgrundsätze für die Netzfahrplanperiode 2018/2019 (TPS 2019). Ausdrücklich wurde beantragt, gemäß § 31 Abs. 2 ERegG eine Kostenunterdeckung in Höhe von 208 Millionen Euro zuzulassen.
4Die von den Klägerinnen beantragten Entgeltmaßnahmen veröffentlichte die Bundesnetzagentur am 9. Oktober 2017 auf ihren Internetseiten. Daraufhin wurden 19 Hinzuziehungsanträge gestellt und positiv beschieden.
5Mit Schreiben vom 27. Oktober 2017 und 6. November 2017 änderten und modifizierten die Klägerinnen ihre Anträge. Mit insgesamt neun Anhörungsschreiben stellte die Bundesnetzagentur der Klägerin zu 1. einzelne Fragen hinsichtlich des Entgeltgenehmigungsantrags. Die Klägerin zu 1. antwortete hierauf mit mehreren Schreiben.
6Am 26. Oktober 2017 führte die Bundesnetzagentur mit den Beteiligten die öffentliche mündliche Verhandlung durch.
7Mit Beschluss vom 17. Januar 2018 (Az.: N01) genehmigte die Bundesnetzagentur die aus der Anlage 1 zu dem Beschluss ersichtlichen Entgelte für die Erbringung des Mindestzugangspakets durch die Klägerinnen für die Netzfahrplanperiode 2018/2019 (Ziffer 1.). Für die vorliegend streitgegenständlich gemachten Marktsegmente „Charter/Nostalgie“ sowie „Leer-/Lokfahrt“ im Schienenpersonenfernverkehr und „Standard“ im Schienengüterverkehr wurde damit ein im Vergleich zum Antrag der Klägerinnen reduziertes Entgelt genehmigt. Unter Ziffer 2. des Beschlusses genehmigte die Bundesnetzagentur die von den Klägerinnen gemäß Anlage 1 zum Genehmigungsantrag beantragten Entgeltgrundsätze für die Erbringung des Mindestzugangspakets für die Netzfahrplanperiode 2018/2019 mit folgenden – für das vorliegende Verfahren relevanten – Änderungen:
8a. Ziffer „6.2.1.2.5. Nacht“ der Schienennetz-Nutzungsbedingungen wird wie folgt gefasst (Hervorhebungen nur zur Verdeutlichung der Änderung zum Antrag):
Das Marktsegment Nacht umfasst alle Schienenpersonenfernverkehre, die entweder
11im Zeitraum von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr verkehren (Zeitkriterium), oder
es sei denn, es handelt sich um die Marktsegmente Charter/Nostalgie oder Leer-/Lokfahrten. Soweit eine Trasse unter Satz 1, 2. Alternative fällt, ist die Trasse auch dann dem Nachtsegment zuzuordnen (Vorrangkriterium), wenn gleichzeitig die Definition anderer zeitabhängiger Marktsegmente erfüllt ist.
14(...)
15c. In Ziffern „6.2.1.4.2. Gefahrgutganzzug“ und „6.2.1.4.3.1. Gefahrgutgüter- nahverkehrszug“ der Schienennetz-Nutzungsbedingungen wird jeweils der folgende Satz gestrichen: „Der ausschließliche Transport von gefährlichen Gütern umfasst auch das Mitführen von leeren Wagen.“ (...)
16d./e. Die beantragten Mindeststornierungsentgelte sowie Änderungsentgelte genehmigte die Bundesnetzagentur unter Festlegung von für die Ver- kehrsdienste individuellen Höchstbeträgen.
17In Ziffer 3. des Beschlusses erließ die Bundesnetzagentur für die in Ziffer 1. genehmigten Entgelte einen Widerrufsvorbehalt für den Fall, dass der Gesetzgeber mit Wirkung für den Genehmigungszeitraum eine Entscheidung zur Förderung des Schienengüterverkehrs trifft. Des Weiteren erließ die Bundesnetzagentur in Ziffer 4. des Beschlusses für die in Ziffer 1. genehmigten Entgelte einen Widerrufsvorbehalt für den Fall, dass die endgültige Festlegung des Ausgangsniveaus der Gesamtkosten von der von ihr am 28. Juni 2017 getroffenen Entscheidung (5.307 Mio. Euro) abweicht und in der Folge die Entscheidung über die Festlegung der Obergrenze der Gesamtkosten für die Netzfahrplanperiode 2018/2019 neu getroffen wird und von der am 21. August 2017 getroffenen Entscheidung abweicht (5.299 Mio. Euro).
18Im Übrigen lehnte die Bundesnetzagentur die Anträge der Klägerinnen ab (Ziffer 5).
19Zu Begründung führte die Bundesnetzagentur, soweit dies für die vorliegende Entscheidung relevant ist, aus:
20Das Marktsegment „Nacht“ sei um eine weitere Anwendungsvariante zu erweitern. Der Schienenpersonenfernverkehr lasse sich in verkehrsräumlicher, zeitlicher, sachlicher und sonstiger Hinsicht segmentieren. Hinsichtlich einer zeitlichen Segmentierung sei die klägerseits gewählte Dreiteilung in „hohes Aufkommen“, „niedriges Aufkommen“ und „sehr niedriges Aufkommen“ nachvollziehbar. Gemessen am klägerischen System sei die generelle Abgrenzung des Marktsegments „Nacht“ plausibel und nicht zu beanstanden. Dieses Segment lasse sich zeitlich gegenüber allen Tag-Verkehren abgrenzen und umfasse den Zeitraum von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr („sehr niedriges Aufkommen“). Allerdings sei eine weitere Anwendungsvariante in Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB aufzunehmen. Durch die Koppelung der Transportleistung mit der Übernachtungsleistung weise das Segment mit großer Wahrscheinlichkeit eine zu anderen Verkehren heterogene Nachfragestruktur auf. Solange während der Nachtzeit kein kommerzieller Halt stattfinde, sei die Nachfrageelastizität konstant, da es keine Fahrgäste gebe, die ein- oder ausstiegen. Insoweit weise die Bemessung der Nachfrageelastizität für Nachtzüge durch die Klägerinnen Defizite auf. Um diese offensichtlichen Unschärfen der Elastizitätsbemessung zu korrigieren, habe die Bundesnetzagentur die Segmentierung „Nacht“ um einen weiteren Anwendungsfall ergänzt. Dabei habe sie diejenige Variante herangezogen, die nach dem Vorbringen der Klägerinnen und der Hinzugezogenen am ehesten aufgrund des vorliegenden Datenmaterials belastbar sei. Andere Varianten könnten zu Verzerrungen der Nachfrage von Eisenbahnverkehrsunternehmen führen.
21Die Marktsegmentierung der Gefahrgutzüge sei dahingehend zu ändern, dass die klägerseits beantragte Ergänzung „Der ausschließliche Transport von gefährlichen Gütern umfasst auch das Mitführen von leeren Wagen.“ in den Ziffern 6.2.1.4.2. und 6.2.1.4.3.1. der SNB zu streichen sei. Soweit die Klägerinnen die Änderung mit dem Verdacht eines Missbrauchs begründet hätten, sei die Begründung nicht ausreichend. Vielmehr entstünden sicher Mehrkosten für die Eisenbahnverkehrsunternehmen, die bisher gemischte Züge aus Gefahrgut- und Leerwagen einsetzten. Diese Mehrkosten seien nicht durch einen Bedarf der Endkunden gedeckt. Der Hinzugezogene zu 7. habe zudem aufgezeigt, dass es für die Eisenbahnverkehrsunternehmen in der Regel nicht wirtschaftlich sinnvoll sei, einen Leerwagen nur aufgrund der Trassenpreisreduktion mitzuführen, sodass kein Missbrauchspotential anzunehmen sei. Von daher sei abzuwarten, ob sich die klägerseits behaupteten Fehlanreize bestätigen würden.
22Dem Antrag der Klägerinnen auf eine Ausnahme von der Kostendeckungspflicht für die Kosten des Mindestzugangspakets gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 ERegG sei im Ergebnis und nach ermessensgerechter Entscheidung stattzugeben. Die kalkulierte Kostenunterdeckung sei nur vorübergehend, da die Klägerinnen beabsichtigten, die jeweiligen Differenzbeträge aus den beantragten Entgelten und der jeweils festgesetzten Obergrenze der Gesamtkosten kontinuierlich abzuschmelzen, um plötzliche Preissprünge bei den Entgelten für die Zugangsberechtigten zu verhindern. Zudem sei mit steigenden Verkehrsmengen zu rechnen, sodass mittelfristig eine Kostendeckung erreicht werde. Schließlich bewege sich die beantragte Kostenunterdeckung im unteren Bereich der genehmigungsfähigen Kostenunterdeckungen. Eine Kostenunterdeckung in der vorliegend beantragten Höhe stelle offensichtlich auch keine Gefahr für einen dauerhaft sicheren Eisenbahnverkehr dar.
23Der unter Ziffer 3. des Beschlusstenors verfügte Widerrufsvorbehalt zur Trassenpreisreduzierung im Schienengüterverkehr sei erforderlich, da eine Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums oder des Gesetzgebers zur Förderung des Schienengüterverkehrs Auswirkungen auf das Ausgangsniveau der Gesamtkosten haben könne. Damit verfolge der Widerrufsvorbehalt den Zweck, mögliche Anreize zur Steigerung des Anteils des schienengebundenen Güterverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen durch eine Reduzierung der Trassenentgelte kurzfristig umzusetzen.
24Der unter Ziffer 4. des Beschlusstenors verfügte Widerrufsvorbehalt zur Festlegung der Obergrenze der Gesamtkosten sei erforderlich, da die Entscheidung zum Ausgangsniveau der Gesamtkosten noch nicht bestandskräftig sei. Sollte durch eine gerichtliche Entscheidung eine Reduzierung angezeigt sein, würde dies auch auf die Festlegung der Obergrenze der Gesamtkosten durchschlagen. Dies könne zur Folge haben, dass dann die zu Ziffer 1. des Tenors getroffene Genehmigung falsch sei. Der Widerrufsvorbehalt sichere eine effektive Korrektur der Festlegung.
25Die Klägerinnen haben am 9. Februar 2018 Klage erhoben.
26Zur Begründung tragen sie insbesondere Folgendes vor: Die Reduzierung der Trassenentgelte („Charter/Nostalgie“, „Leer-/Lokfahrt“, „Standard“) und die Deckelungen von Stornierungs- und Änderungsentgelten seien rechtswidrig erfolgt.
27Die Erweiterung des Marktsegments „Nacht“ sei bereits wegen eines Begründungsmangels formell rechtswidrig. Die Bundesnetzagentur gebe vor, mit der Einführung des alternativen Kriteriums eine „offensichtliche Unschärfe der Elastizitätsbemessung“ zu korrigieren. Es sei unklar, worin die Unschärfe bestehe und warum die Ergänzung dies korrigieren könne. Ein Verweis auf das Verfahren N02 (18 K 5189/18) genüge insoweit nicht, da dort nur ein Einzelfall Gegenstand sei, der hinsichtlich der Preiselastizität nicht ohne Weiteres auf das Marksegment „Nacht“ übertragbar sei. Im Gegensatz zum dort gewählten Verkehrskonzept gebe es auch zahlreiche Nachtzugverkehre mit anderen Haltekonzepten. Die Bundesnetzagentur sei im Übrigen gar nicht befugt, die Abgrenzung des Marktsegments zu ergänzen. Ihr stehe kein eigener Gestaltungs- oder Ermessensspielraum zu. Sie könne lediglich eine Genehmigung versagen, wenn der gesetzliche Rahmen nicht eingehalten werde. Die rein zeitmäßige Abgrenzung des Marktsegments sei rechtmäßig und entspreche der sonstigen Systematik der Segmentierung. Eine zeitliche Abgrenzung von Marksegmenten sei nicht nur bei dem Segment „Nacht“ maßgeblich, sondern stelle ein im gesamten Trassenpreissystem geltendes Prinzip dar. Grundsätzlich komme es auch nicht auf den nächsten bzw. letzten Halt an, um einen Segmentwechsel zu begründen. Befinde sich ein Zug zum maßgeblichen Zeitpunkt zwischen zwei kommerziellen Halten, werde der betreffende Halteabschnitt den beiden Segmenten anteilig zugeordnet. Stelle man wie die Beklagte auf kommerzielle Halte ab, um einen Segmentwechsel zu begründen, komme es zu „Sprüngen“ bei der Entgeltermittlung. Dadurch würden Fehlanreize gesetzt und es entstünden Missbrauchsmöglichkeiten.
28Die Ablehnung der Präzisierung der Marktsegmente „Gefahrgutganzzug“ und „Gefahrgüternahverkehrszug“ dahingehend, dass das Mitführen von leeren Wagen unschädlich ist, sei rechtswidrig. Die Bundesnetzagentur sei zur Ablehnung, die einen gestaltenden Eingriff in die Festsetzung der Marktsegmente darstelle, schon nicht befugt. Die klägerseits vorgenommene Marktsegmentierung beruhe auf Ziffer 1.b) der Anlage 7 zu § 36 Abs. 2 und § 39 ERegG, wonach Gefahrgutzüge von anderen Güterzügen zu unterscheiden seien. Um der Homogenitätsanforderung der Marktsegmente Rechnung zu tragen, verfolgten sie, die Klägerinnen, eine trennscharfe Abgrenzung. Mit der Klarstellung reagierten sie lediglich auf eine bestehende Missbrauchsmöglichkeit, bei der Eisenbahnverkehrsunternehmen an einen Gefahrgutganzzug extra einen Leerwagen anhängten, um damit geringere Trassenentgelte zu zahlen. Ein solches Vorgehen sei im DVZ-Brief vom 18. Mai 2017 auch ausdrücklich als „Trick gegen hohe Trassenpreise für Gefahrgutzüge“ publiziert worden. Ein solches Vorgehen rechne sich auch wirtschaftlich, wenn bei einer mittleren Transportweite eine Ersparnis von ca. 200,- Euro möglich sei und die Tagesmiete für einen Container-Tragwagen 20,- Euro betrage. Es sei auch umgekehrt nicht zu befürchten, dass ein einzelner Gefahrgutwagen an einen im Übrigen aus Leerwagen bestehenden Zug angehängt werde und damit erhöhte Trassenpreise anfielen. Dies sei allenfalls ein theoretisches Konstrukt, das in der Praxis nicht vorkomme. Die Umgehungspraxis sei auch schon statistisch festzustellen. So sei der Anteil des Gefahrgutganzzugsegments am gesamten Schienengüterverkehr im ersten Halbjahr 2018 hochgerechnet um 1,3 % (von 8,9 % auf 7,6 %) gesunken. Dies bedeute einen Rückgang von ca. 3 Millionen Trassenkilometern. Gleichzeitig sei eine Strukturverschiebung zum Segment „Standard“ in gleicher Höhe festzustellen.
29Die Widerrufsvorbehalte hätten sich zwischenzeitlich erledigt. Gleichwohl seien sie rechtswidrig gewesen, da es jeweils an den tatbestandlichen Voraussetzungen gefehlt habe.
30Soweit in Ziffer 5. des Beschlusses ihre Anträge im Übrigen abgelehnt worden seien, betreffe dies auch die beantragte Ausnahmegenehmigung auf Kostenunterdeckung nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG. Die Klägerinnen hätten einen solchen Antrag ausdrücklich gestellt, der im Tenor des Beschlusses nicht positiv beschieden und somit abgelehnt worden sei. Die Tenorierung stehe zwar im Widerspruch zur Beschlussbegründung, woraus sich ergebe, dass die Bundesnetzagentur nach intensiver Prüfung mit der Unterschreitung inhaltlich einverstanden sei. Es liege darin aber ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot. Aus der tenorierten Ziffer 1. lasse sich die implizite Genehmigung des Antrags auch nicht im Wege der Auslegung zweifelsfrei ableiten.
31Die Klägerinnen haben ursprünglich angekündigt, zu beantragen,
321. den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 17. Januar 2018 (Az.: N01) aufzuheben, soweit er
331.1. in Ziffer 1. des Beschlusses die Trassenentgelte im Bereich des Schienenpersonenfernverkehrs für das Marktsegment „Charter/Nostalgie“ auf 2,11 Euro/Trkm und für das Marktsegment „Leer-/Lokfahrt“ auf 2,11 Euro/Trkm und im Bereich des Schienengüterverkehrs für das Marktsegment „Standard“ auf 2,91 Euro/Trkm festsetzt,
341.2. in Ziffer 2. des Beschlusses
351.2.1. das Marktsegment „Nacht“ im Schienenpersonenfernverkehr in Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB dadurch ergänzt, dass es zusätzlich zu den im Zeitraum von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr verkehrenden Schienenpersonenfernverkehrszüge auch solche erfasst, die „den Zeitraum von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr einschließlich etwaiger außerdeutscher Zuglaufteile ohne kommerziellen Halt vollständig durchfahren, erweitert um den ersten kommerziellen Halt vor Beginn und nach Ende der Nachtperiode“ sowie das Marktsegment „Nacht“ durch den Satz ergänzt „Soweit eine Trasse unter Satz 1, 2. Alternative fällt, ist die Trasse auch dann dem Nachtsegment zuzuordnen (Vorrangkriterium), wenn gleichzeitig die Definition anderer zeitabhängiger Marktsegmente erfüllt ist.“,
361.2.2. in Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB betreffend Gefahrgutganzzüge und in Ziffer 6.2.1.4.3.1. der SNB betreffend Gefahrgutgüternahverkehrszüge jeweils den Satz streicht „Der ausschließliche Transport von gefährlichen Gütern umfasst auch das Mitführen von leeren Wagen.“,
371.2.3. die Regelung zum Mindeststornierungsentgelt in Ziffer 6.4.8.2. der SNB um die Regelung eines maximalen Mindeststornierungsentgelts in Höhe von 498,- Euro im Schienenpersonenfernverkehr, vom 472,- Euro im Schienenpersonennahverkehr und von 483,- Euro im Schienengüterverkehr ergänzt,
381.2.4. die Regelung zum Änderungsentgelt in Ziffer 6.4.8.1. der SNB um die Regelung eines maximalen Änderungsentgelts in Höhe von 498,- Euro im Schienenpersonenfernverkehr, von 472,- Euro im Schienenpersonennahverkehr und von 483,- Euro im Schienengüterverkehr ergänzt,
391.3 in Ziffer 3. des Beschlusses den Beschluss unter einen Widerrufsvorbehalt für den Fall stellt, dass der Gesetzgeber mit Wirkung für den Genehmigungszeitraum eine Entscheidung zur Förderung des Schienengüterverkehrs trifft,
401.4 in Ziffer 4. des Beschlusses den Beschluss unter einen Widerrufsvorbehalt für den Fall stellt, dass die endgültige Festlegung des Ausgangsniveaus der Gesamtkosten von der am 28. August 2017 getroffenen Entscheidung der Bundesnetzagentur (5.307 Mio. Euro) abweicht und in der Folge die Entscheidung über die Festlegung der Obergrenze der Gesamtkosten für die Netzfahrplanperiode 2018/2019 neu getroffen wird und der von der am 21. August 2017 getroffenen Entscheidung der Bundesnetzagentur (5.299 Mio. Euro) abweicht,
411.5 die Anträge der Klägerinnen im Übrigen ablehnt,
42sowie
432. die Beklagte zu verpflichten, über die in Anlage 1 des Beschlusses benannten Entgelte und die unter I.2. aufgeführten Entgeltgrundsätze unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, sowie die Beklagte zu verpflichten, dem Antrag der Klägerinnen gemäß § 31 Abs. 2 ERegG auf Kostenunterdeckung in Höhe von 208 Mio. Euro stattzugeben.
44Mit Schriftsatz vom 23. März 2020 haben die Klägerinnen die Klage zurückgenommen, soweit dies die Entgeltfestsetzung im Bereich des Schienengüterverkehrs für das Marktsegment „Standard“ betrifft. Die Klage betreffend die Klagegegenstände „Deckelung der Mindeststornierungsentgelte und der Änderungsentgelte“ haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 11. Mai 2023 zurückgenommen. Hinsichtlich der ursprünglich angegriffenen Widerrufsvorbehalte haben die Klägerinnen zunächst eine Umstellung der Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage angekündigt. Auf gerichtliche Anfrage im vorbereitenden Verfahren haben die Beteiligten dann den Rechtsstreit in der Hauptsache auch hinsichtlich der Widerrufsvorbehalte übereinstimmend für erledigt erklärt. Nachdem die Bundesnetzagentur im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2022 (6 C 10.20) durch Erlass des Beschlusses vom 4. August 2023 N03) die Klägerinnen hinsichtlich der Klagegegenstände „Charter/Nostalgie“ und „Leer-/Lokfahrt“ klaglos gestellt hatte, haben die Beteiligten den Rechtsstreit auch insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
45Daher beantragen die Klägerinnen nunmehr,
46die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Beschlusses vom 17. Januar 2018 (Az.: N01) zu verpflichten,
471. den Entgeltgenehmigungsantrag der Klägerinnen hinsichtlich der Marktsegmentierung „Nacht“ (Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB), des „Gefahrgutganzzugs“ (Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB) sowie des „Gefahrgutgüternahverkehrszugs“ (Ziffer 6.2.1.4.3.1. der SNB) ohne die in Ziffer 2. a. und c. des Beschlusses vom 17. Januar 2018 tenorierten Änderungen zu genehmigen,
2. dem Antrag der Klägerinnen gemäß § 31 Abs. 2 ERegG auf Kostenunterdeckung in Höhe von 208 Mio. Euro stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
51die Klage abzuweisen.
52Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Beschluss und führt ergänzend aus:
53Die Erweiterung des Marktsegments „Nacht“ im Verkehrsdienst Schienenpersonenfernverkehr sei erforderlich gewesen, damit eine offensichtliche Unschärfe der Elastizitätsbemessung korrigiert werde. Die Bundesnetzagentur sei auch befugt gewesen, eine Genehmigung in modifizierter Form zu erlassen. Sie habe auch nicht in das Recht der Klägerinnen eingegriffen, Marktsegmentierungen vorzunehmen. Die Bundesnetzagentur sei befugt, Korrekturen an der Definition eines Marktsegments vorzunehmen. Ansonsten hätte sie die Genehmigung des Marktsegments „Nacht“ insgesamt versagen müssen. Diese Aufgabenverteilung ergebe sich auch aus Art. 32 und 56 der RL 2012/34/EU. Ohne die Korrektur hätte es keinen rechtmäßigen und damit genehmigungsfähigen Zustand gegeben. Die klägerische Fassung verstoße gegen § 36 Abs. 3 Satz 1 ERegG, da Fälle unterschiedlich behandelt würden, bei denen offensichtlich keine andere Art der Personenbeförderung festzustellen sei (gleiche Nachfrageelastizität). Die Klägerinnen hätten sich dafür entschieden, ihre Entgelte nach der „Ramsey-Regel“ zu bestimmen. Die Anwendung dieser Regel wirke sich auch auf die vorzunehmende Marktsegmentierung aus, da sich die danach maßgebliche Preisreagibilität der Endkunden in der Segmentierungsentscheidung wiederfinden müsse. Unterschiedliche Marktsegmente müssten unterschiedliche Nachfragereagibilitäten aufweisen. Wenn keine Fahrgäste aus- oder einstiegen, könne sich die Nachfrageelastizität nicht ändern. Dies berücksichtige die Definition der Klägerinnen ebenso wenig wie die Tatsache, dass ohne Korrektur ein Zug in einer Fahrtrichtung einer anderen Segmentierung unterfalle als der gleiche Zug in Gegenrichtung. Allgemein gelte, dass die Einordnung in zwei verschiedene Segmente je nach Fahrtrichtung unrichtig sei.
54Soweit die Bundesnetzagentur die Präzisierung der Marktsegmente „Gefahrgutganzzug“ und „Gefahrgüternahverkehrszug“ abgelehnt habe, sei auch dies rechtmäßig gewesen. Sie sei befugt gewesen, auch in diesem Zusammenhang eine modifizierte Genehmigung zu erteilen. Die klägerseits begehrte Erweiterung verstoße gegen § 39 Abs. 1 ERegG. Das behauptete Missbrauchspotential hätten die Klägerinnen nicht ausreichend begründet. Dies sei ihnen auch nicht durch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Zahlen gelungen. Hierbei handele es sich um Prognosen. Der Einsatz von Leerwagen sei schlicht nicht wirtschaftlich für die Eisenbahnverkehrsunternehmen.
55Die Klage sei bereits unzulässig, soweit die Klägerinnen die Verpflichtung begehrten, ihrem Antrag nach § 31 Abs. 2 ERegG stattzugeben. Es habe keiner entsprechenden Tenorierung bedurft, da die Billigung der Unterschreitung in der Genehmigung der Einzelentgelte mitenthalten sei. Von daher habe sie weder einen ablehnenden Verwaltungsakt erlassen noch einen Antrag nicht beschieden. Dieses Vorgehen entspreche auch der Systematik des Gesetzes, wonach ein Antrag nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG nur als Teil eines Entgeltgenehmigungsantrags nach § 46 Abs. 1 ERegG gestellt werden könne.
56Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
57Entscheidungsgründe
58Soweit die Klägerinnen die Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Es war auch einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Rechtsanwendung.
59Die danach noch anhängige Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
60I. 1. Der klägerische Antrag,
61die Beklagte zu verpflichten, den Entgeltgenehmigungsantrag der Klägerinnen hinsichtlich der Marktsegmentierung „Nacht“ (Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB), des „Gefahrgutganzzugs“ (Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB) sowie des „Gefahrgutgüternahverkehrszugs“ (Ziffer 6.2.1.4.3.1. der SNB) ohne die in Ziffer 2. a. und c. des Beschlusses vom 17. Januar 2018 tenorierten Änderungen zu genehmigen,
62ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft und insgesamt zulässig. Indem die Bundesnetzagentur die beantragten Entgeltgrundsätze hinsichtlich der Ziffer 6.2.1.2.5. der SNB ergänzt und in Bezug auf die Ziffern 6.2.1.4.2. und 6.2.1.4.3.1. der SNB um die begehrte Erweiterung reduziert hat, genehmigte sie den Antrag in einer abgeänderten und aus Sicht der Klägerinnen belastenden Weise. Mit dieser Modifizierung lehnte die Bundesnetzagentur die ursprünglich begehrten Entgeltgrundsätze ab und erteilte zugleich eine nicht beantragte Genehmigung. Insoweit ist die vorliegende Situation vergleichbar mit einer „modifizierenden Auflage“ bzw. „modifizierenden Genehmigung“.
63Vgl. zu dieser Figur: Sodan, in: NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 21.
64In einer solchen Konstellation können die Klägerinnen durch die Verpflichtungsklage die abgelehnte Genehmigung ohne die „modifizierende Auflage“ begehren.
65Vgl. im Ergebnis ebenso: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris Rn. 24; OVG Münster, Beschluss vom 1. Dezember 2017 – 13 B 676/17 – juris Rn. 31; VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2020 – 18 K 3108/17 – juris Rn. 82; Otte/Kirchhartz, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, 2020, § 45 ERegG Rn. 72 f.
66Soweit die Klägerinnen ihr Klagebegehren nur auf Teile der modifizierenden Genehmigung begrenzen, führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Klage, da die angegriffene eisenbahnregulierungsrechtliche Entgeltgenehmigung insoweit teilbar ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich für beantragte Entgelte festgestellt.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris.
68Danach ist ein Betreiber der Schienenwege, der die Genehmigung eines beantragten Einzelentgelts erstrebt, das die Bundesnetzagentur nur in geringerer Höhe genehmigt hat, nicht darauf zu verweisen, die gesamte Entgeltgenehmigung anzugreifen. Dies ergibt sich aus § 45 Abs. 1 Satz 2 ERegG und der dort vom Gesetzgeber genutzten Konjunktion „soweit“, der die Bedeutung „in dem Maße, wie“ zukommt.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris Rn. 26.
70Die dortigen Ausführungen lassen sich ohne Weiteres auf die vorliegend allein noch streitigen Marktsegmentierungen und -abgrenzungen übertragen.
712. Die Klage ist in diesem Umfang auch begründet. Die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten. Da die Sache zudem spruchreif ist, haben die Klägerinnen einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, ihren Entgeltgenehmigungsantrag hinsichtlich der Marktsegmentierung „Nacht“ (Ziffer 6.2.1.5. der SNB), des „Gefahrgutganzzugs“ (Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB) sowie des „Gefahrgutgüternahverkehrszugs“ (6.2.1.4.3.1. der SNB) ohne die in Ziffer 2. a. und c. des vorgenannten Beschlusses tenorierten Änderungen zu genehmigen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
72a. Gemäß § 45 Abs. 1 ERegG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 29. August 2016 (BGBl. I S. 2082),
73vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt: VG Köln, Urteile vom 27. Januar 2023 – 18 K 6721/19 – juris Rn. 53, und vom 10. Juli 2020 – 18 K 3108/17 – juris Rn. 123, wonach der Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses maßgeblich ist,
74sind die Entgelte eines Betreibers der Schienenwege für die Erbringung des Mindestzugangspakets einschließlich der Entgeltgrundsätze nach Anlage 3 Nummer 2 von der Regulierungsbehörde zu genehmigen. Die Genehmigung ist zu erteilen, soweit die Ermittlung der Entgelte den Anforderungen der § 24 bis § 40 und § 46 ERegG und die Entgeltgrundsätze den Vorgaben der Anlage 3 Nummer 2 zu § 19 ERegG entsprechen.
75Nach Anlage 3 Nr. 2 zu § 19 ERegG müssen die Schienennetz-Nutzungsbedingungen einen Abschnitt mit einer Darlegung der Entgeltgrundsätze und der Entgelte enthalten. Dieser Abschnitt umfasst hinreichende Einzelheiten der Entgeltregelung sowie ausreichende Informationen zu den Entgelten und andere für den Zugang relevante Angaben bezüglich der in Anlage 2 aufgeführten Leistungen (Mindestzugangspaket), die nur von einem einzigen Anbieter erbracht werden. Es ist im Einzelnen aufzuführen, welche Verfahren, Regeln und gegebenenfalls Tabellen zur Durchführung der § 34 bis § 40 ERegG in Bezug sowohl auf Kosten als auch auf Entgelte angewandt werden. Dieser Abschnitt enthält ferner Angaben zu bereits beschlossenen oder, soweit verfügbar, in den kommenden fünf Jahren vorgesehenen Entgeltänderungen.
76b. Die gesetzlich vorgegebene Entgeltsystematik setzt dabei voraus, dass sich die genehmigungsbedürftigen Entgelte auf Verkehrsdienste bzw. Marktsegmente beziehen, die seitens des Infrastrukturunternehmens als Entgeltgrundsatz festgelegt werden müssen. So sind auf der dreistufigen Entgeltermittlung nach dem Anreizsystem bereits auf der ersten Stufe nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ERegG die zugehörigen Betriebsleistungen für die einzelnen Verkehrsdienste und deren Marktsegmente in Trassenkilometern darzulegen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 ERegG hat ein Betreiber der Schienenwege nach Mitteilung der Obergrenze der Gesamtkosten (2. Stufe) die Entgelte für die einzelnen Verkehrsdienste und deren Marktsegmente auf der Grundlage der § 23 und § 31 bis § 41 ERegG festzulegen (3. Stufe).
77Das im Einzelnen zu erhebende Entgelt für das Mindestzugangspaket setzt sich nach der im Gesetz angelegten Struktur aus zwei Teilen zusammen. Den ersten Teil bilden gemäß § 34 Abs. 3 Abs. 1 ERegG diejenigen Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen und die nach näherer Maßgabe von § 34 Abs. 4 ERegG zu ermitteln sind. Sie umfassen die variablen Kosten, die aufgrund der Nutzung der Schienenwege durch jeweils einen Zug entstehen, nicht aber die mit dem Betrieb der Schienenwege verbundenen Fixkosten. Sie spiegeln – im ökonomischen Sinne – im Wesentlichen die Grenzkosten wieder und bilden die Basis bzw. die Untergrenze für das zu erhebende Entgelt. Der zweite Teil ergibt sich aus den in § 36 ERegG vorgesehenen Aufschlägen, die der Betreiber der Schienenwege zur Vollkostendeckung (Verteilung der Fixkosten) erheben kann.
78Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 98 unter Verweis auf die Einzelbegründung zu § 34 Abs. 3 und § 36 Abs. 1 ERegG im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. Mai 2016: BT-Drs. 18/8334, S. 197 und S. 199.
79c. Deshalb hat ein Betreiber der Schienenwege nach § 36 Abs. 2 ERegG zu prüfen, inwieweit die Aufschläge für bestimmte Verkehrsdienste oder Marktsegmente in Betracht kommen. Hieraus ergibt sich die Pflicht des Betreibers der Schienenwege, unter Anwendung entsprechender Abgrenzungskriterien Marktsegmente in seinen Schienennetz-Nutzungsbedingungen festzulegen, für die Aufschläge erhoben werden.
80Dabei sind die gesetzlichen Vorgaben für die Bildung und Abgrenzung der Marktsegmente rudimentär und haben bisher auch noch keine weitere Konkretisierung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung erfahren.
81Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 95.
82Hinsichtlich der systematischen Einordnung hat der Gesetzgeber gemäß § 1 Abs. 4 ERegG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 AEG zunächst vorgegeben, dass Marktsegmente innerhalb der Verkehrsdienste gebildet werden können. Verkehrsdienste sind gemäß § 1 Abs. 4 ERegG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 AEG Schienenpersonenfernverkehr, Schienenpersonennahverkehr und Schienengüterverkehr. Marktsegmente entsprechen damit dem kartellrechtlichen Begriff des „Teilmarktes“ und werden anhand der Frage abgegrenzt, ob die angebotene Leistung aus Sicht der Nachfrageseite aufgrund von sachlichen, räumlichen oder zeitlichen Kriterien austauschbar ist.
83Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 110; Otte/Kirchhartz, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, 2020, § 36 ERegG Rn. 20; Klinge, in: Staebe, ERegG, 2018, § 36 Rn. 11.
84Nach Anlage 7 Nr. 1 zu § 36 Abs. 2 und § 39 ERegG umfassen die Paare, die von den Betreibern der Schienenwege zu berücksichtigen sind, wenn sie eine Liste von Marktsegmenten im Hinblick auf die Einführung von Aufschlägen in der Entgeltregelung nach § 36 Abs. 1 ERegG festlegen, mindestens die folgenden:
85a) Personenverkehr/Güterverkehr;
86b) Gefahrgutzüge/andere Güterzüge;
87c) Inländischer Verkehr/grenzüberschreitender Verkehr;
88d) Kombinierter Verkehr/Direktverkehr;
89e) Personenstadt- oder -regionalverkehr/Personenfernverkehr;
90f) Ganzzüge/Einzelwagenverkehr;
91g) Netzfahrplan/Ad-hoc-Verkehr.
92Diese genannten Verkehrsdienst- oder Marktsegmentpaare hat der Betreiber der Schienenwege nach § 36 Abs. 2 Satz 2 ERegG zu prüfen und die zutreffenden auszuwählen, mindestens jedoch Güterverkehrsdienste (1.), Schienenpersonennahverkehrsdienste und sonstige Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags (2.) und Schienenpersonenfernverkehrsdienste (3.). Ein Betreiber der Schienenwege kann darüber hinaus nach § 36 Abs. 3 ERegG die Verkehrsdienste in Marktsegmente je nach Art der transportierten Güter oder der Personenbeförderung weiter untergliedern. Ausweislich der Gesetzesbegründung können nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ERegG insbesondere Marktsegmente gebildet werden, die sich bezüglich des transportierten Gutes, bezüglich der Anforderungen der Benutzer oder der Anforderungen an die Qualität des Schienenweges unterscheiden.
93Vgl. die Einzelbegründung zu § 36 Abs. 3 ERegG im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. Mai 2016, in: BT-Drs. 18/8334, S. 199.
94Diese Regelungen stellen klar, dass die Verteilung der Kosten auf einzelne Verkehrsdienste oder Marktsegmente zur Entgeltbildung jedenfalls im Ausgangspunkt Aufgabe des Betreibers der Schienenwege ist.
95Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 102 unter Verweis auf die Einzelbegründung zu § 36 Abs. 2 ERegG im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. Mai 2016, in: BT-Drs. 18/8334, S. 199.
96Die Liste der Marktsegmente wird in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht und mindestens alle fünf Jahre überprüft, § 36 Abs. 3 Satz 4 ERegG. Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 5 ERegG überwacht die Regulierungsbehörde diese Liste nach Maßgabe des § 67 ERegG.
97d. Im Rahmen der Festlegung der Marktsegmente ist der Betreiber der Schienenwege allerdings nicht völlig frei.
98Vgl. auch Klinge, in: Staebe, ERegG, 2018, § 36 Rn. 10, wonach der Betreiber der Schienenwege aufgrund der Methodenoffenheit des Gesetzes einen „erheblichen Spielraum“ habe.
99Vielmehr hat er die Marktsegmentierung an den in § 36 Abs. 1 Satz 1 ERegG genannten Maßstäben der Effizienz, Transparenz und Nichtdiskriminierung auszurichten. In der genannten Regelung hat der Gesetzgeber festgehalten, dass die Aufschläge auf der Grundlage effizienter, transparenter und nichtdiskriminierender Grundsätze zu erheben sind, wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes zu gewährleisten ist. Zu den dort genannten (Entgelt-)Grundsätzen, die effizient, transparent und nichtdiskriminierend sein müssen, gehören auch die Marktsegmente, die einen zentralen Bestandteil der Erhebung von Aufschlägen darstellen. Die Marktsegmente sind eine Grundlage der Aufschlagerhebung, da erst durch diese der Betreiber der Schienenwege in die Lage versetzt wird, die Summe seiner ermittelten Fixkosten durch Aufschläge auf die verschiedenen Verkehrssegmente in entsprechender Höhe zu verteilen, um dem Gebot der Vollkostendeckung zu genügen.
100aa. Soweit darüber hinaus vertreten wird, dass sich aus der Formulierung „wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes zu gewährleisten ist“ in § 36 Abs. 1 Satz 1 ERegG ergebe, dass sich die aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Segmentierungsmöglichkeit („kann“) bei einer erkennbar heterogenen Preiselastizität zu einer Verpflichtung verdichten könne,
101vgl. Otte/Kirchhartz, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, 2020, § 36 ERegG Rn. 29, 30,
102überzeugt dies nicht. Ein solches Verständnis setzte nämlich voraus, dass bereits die Segmentierungsentscheidung des Betreibers der Schienenwege auf die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes hin auszurichten wäre.
103Die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit bei der Verteilung von Aufschlägen wird unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Entscheidung der Erreichung der Kostendeckung nach aktuellem wissenschaftlichen Stand jedenfalls durch die „Ramsey-Boiteux-Regel“ erreicht.
104Vgl. Otte/Kirchhartz, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, 2020, § 36 ERegG Rn. 17; kritisch: OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 111, wonach auch andere Methoden denkbar sein könnten.
105Für diese Methode haben sich die Klägerinnen entschieden, ohne dass die Bundesnetzagentur hiergegen Einwände erhoben hat.
106Nach der „Ramsey-Boiteux-Regel“ hängt die Preisbildung für einen von mehreren Diensten von der jeweiligen Preiselastizität der Nachfrage nach dem konkreten Dienst ab. Eine hohe Nachfrage-Elastizität in einem Marktsegment (Nachfrage reagiert vergleichsweise deutlich auf Preiserhöhung) führt zu einem relativ geringen Aufschlag. Umgekehrt rechtfertigt eine niedrige Nachfrage-Elastizität einen relativ höheren Aufschlag.
107Würde man nun verlangen, dass diese Methode bereits im Rahmen der Segmentierungsentscheidung herangezogen werden müsste, würde dies bedeuten, dass in einem ersten Schritt jedenfalls für alle bekannten Nachfragekonzepte von Zugangsberechtigten die jeweilige Preiselastizität ermittelt werden müsste, um dann in einem zweiten Schritt möglichst homogene Gruppen zu bilden, die sich hinreichend von anderen Gruppen unterscheiden (Heterogenität der Segmente).
108Dieser Logik scheint die Beklagte zu folgen, wenn sie vorträgt, die Preisreagibilität der Endkunden müsse sich in der Segmentierungsentscheidung wiederfinden. Mit diesem Ansatz begründet sie die von ihr tenorierte Definitionsvariante des Segments „Nacht“. Denn die Nachfrageelastizität bleibe konstant, solange kein Kunde ein- oder aussteige, sodass das Nachtsegment über das rein zeitliche Kriterium um den letzten Halt vor und den ersten Halt nach dem Nachtzeitfenster zu erweitern sei, wenn im Nachtzeitfenster kein Halt stattfinde.
109Hiergegen spricht bereits die vom Gesetzgeber vorgesehene und als zulässig anerkannte Entscheidung für eine Mindestsegmentierung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 ERegG). Die danach im Grundsatz mögliche Mindestsegmentierungsentscheidung, die die Bundesnetzagentur – wie die Kammer aus anderen Verfahren weiß – in Bezug auf andere Betreiber von Schienenwegen hat ausreichen lassen, spiegelt die Nachfrageelastizität von Verkehrsdiensten allenfalls grob, jedenfalls aber nicht „bestmöglich“ wieder.
110Zum anderen würde dieses Verständnis zu Ende gedacht dazu führen, dass jedes Nachfragekonzept eines Zugangsberechtigten als eigenes Segment festgehalten werden müsste, sobald eine – zu den bisherigen Segmenten – abweichende Preiselastizität festgestellt werden kann. Denn ansonsten entstünde auch insoweit keine „bestmögliche“ Wettbewerbsfähigkeit. Stattdessen zeigen die in Nummer 1 der Anlage 7 zu § 36 Abs. 2 und § 39 ERegG genannten Paare sowie die in § 36 Abs. 3 Satz 1 ERegG genannten Differenzierungskriterien (Art der transportierten Güter oder der Personenbeförderung), dass ein Segment ein homogener Teilmarkt sein soll, der sich hinreichend von anderen Segmenten abgrenzt. Dies setzt konzeptionell allerdings nicht voraus, dass alle Zugverkehre, die einem Segment zugewiesen werden, eine identische Preiselastizität aufweisen müssen.
111Schließlich steht die gesetzliche Systematik einem solchen Verständnis entgegen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 ERegG sind Aufschläge zu erheben, die die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten sollen. Es geht demnach um die Verteilung der Fixkosten in Form von Aufschlägen auf verschiedene Marktsegmente unter der Prämisse, dass deren Wettbewerbsfähigkeit zueinander bestmöglich gewährleistet wird. Diesen Zweck verfolgt und erfüllt die „Ramsey-Boiteux-Regel“, indem die jeweiligen Preiselastizitäten der (zuvor) festgelegten Segmente die Höhe der Aufschläge bestimmen. Für die vorgelagerte Segmentierungsentscheidung ist die „Ramsey-Boiteux-Regel“ hingegen nicht maßgeblich.
112Somit bleibt es hinsichtlich der Festlegung der Marktsegmente bei den gesetzgeberischen Anforderungen der Effizienz, Nichtdiskriminierung und Transparenz.
113Vgl. im Ergebnis ebenso: Klinge, in: Staebe, ERegG, 2018, § 36 Rn. 10.
114bb. Entgeltgrundsätze sind effizient, solange die erwarteten Wohlstandsgewinne die mit einer feineren Marktsegmentierung einhergehenden Transaktionskosten übersteigen.
115Vgl. Otte/Kirchhartz, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, 2020, § 36 ERegG Rn. 14.
116Eine effiziente Marktsegmentierung dient dem verlässlichen und zügigen Ablesen des für die jeweilige Trasse fälligen Entgeltes. Hierbei handelt es sich um ein Massengeschäft, bei dem jede Ausnahme und jede Zusatzdifferenzierung zu einem Mehraufwand führt, der gleichzeitig die Fehleranfälligkeit der individuellen Entgeltermittlung erhöht. Effizienz geht in diesem Zusammenhang mit Praktikabilität einher.
117cc. Der Kern des Diskriminierungsverbots,
118vgl. ausführlich: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris Rn. 87 f.; VG Köln, Urteil vom 18. März 2022 – 18 K 8277/18 – juris Rn. 105 ff.,
119entspricht dem Regelungsgehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot fordert daher die Gleichbehandlung beim Zugang zur Eisenbahninfrastruktur („ob“) sowie bei deren Benutzung („wie“) und erlaubt die unterschiedliche Behandlung nur bei sachlich gerechtfertigtem Grund; strukturell bedingte Ungleichbehandlungen stellen eine Diskriminierung dar. Nichtdiskriminierung verlangt, dass die Leistung anhand einheitlicher Kriterien zu erbringen ist. Eine Regelung kann auch diskriminieren, wenn sie zwar formal für alle ihre Adressaten gilt, faktisch aber nur einzelne von ihnen benachteiligt oder begünstigt. Außer Betracht zu bleiben hat dabei jedoch, dass die Nutzungsbedingung mal dieses, mal jenes Unternehmen oder ein Unternehmen häufiger trifft als andere. Es entspricht der Eigenart abstrakt-genereller Regelungen, dass sie bei ihren Adressaten nicht gleich häufig zum Tragen kommen. Eine faktische Ungleichbehandlung liegt nur vor, wenn dieses Ergebnis normativ dadurch vorgezeichnet ist, dass eine Regelung im Tatbestand an Merkmale anknüpft, die ausschließlich oder jedenfalls typischerweise nur bei bestimmten Unternehmen als Adressaten der Regelung eintreten können. Dieses Diskriminierungsverbot ist das Gegenstück zu dem Spielraum, der dem Betreiber der Schienenweg bei der Berechnung und Erhebung der Entgelte zukommt.
120Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 9. November 2017 – C-489/15 [ECLI:EU:C:2017:834], CTL Logistics.
121dd. Das Transparenzgebot,
122vgl. ausführlich: VG Köln, Urteil vom 18. März 2022 – 18 K 8277/18 – juris Rn. 187 ff.,
123erfüllt gegenüber dem Diskriminierungsverbot eine bedeutende Komplementärfunktion. Durch die Transparenz werden sowohl Informationsasymmetrien vermieden als auch etwaige Diskriminierungspotenziale des Betreibers der Infrastruktur beschränkt. Damit das Transparenzgebot diese Komplementärfunktion gegenüber dem Diskriminierungsverbot wirksam ausfüllen kann, kommt ihm inhaltlich sowohl ein formaler als auch ein materieller Gehalt zu. Formell wird zur Transparenz erheblich beigetragen, indem Regelungen veröffentlicht und damit nach außen bekannt werden. Materielle Transparenz bedeutet, dass die Bedingungen so klar, genau und eindeutig abgefasst sein müssen, dass die durchschnittlich fachkundigen Zugangsberechtigten bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ihre Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können.
124e. Gemessen daran entspricht die seitens der Klägerinnen zur Genehmigung vorgelegte Marktsegmentierung in Bezug auf die Segmente „Nacht“ und „Gefahrgutzug“ jeweils den gesetzlichen Anforderungen.
125aa. In Anlage 6.1. ihres Entgeltgenehmigungsantrags beschreiben die Klägerinnen die Herleitung der Marktsegmentierung. Danach ordnet die Klägerin zu 1. alle Verkehre auf ihrem Schienennetz sowie dem Schienennetz der Klägerin zu 2. nach räumlichen, zeitlichen und sachlichen Kriterien Marktsegmenten zu. Maßgeblich sind Unterschiede bei den Kosten für die Erbringung der Verkehrsleistungen, ihren Marktpreisen oder Anforderungen an die Dienstleistungsqualität. Zudem liegt der Marktsegmentierung eine Analyse der Marktgegenseite (Zugangsberechtigte sowie nachgelagerte End- bzw. Zwischenkundenmärkte) zugrunde.
126Nach einer Grobsegmentierung in die Verkehrsdienste SPNV, SPFV und SGV erfolgt eine Verfeinerung anhand zuvor festgelegter Segmentierungskriterien. Ziel sind Marktsegmente, die in sich homogen sind und zugleich untereinander einen hohen Grad an Heterogenität aufweisen. Die Zuordnung einer Trasse zu einem Marktsegment – nicht jedoch zu verschiedenen Verkehrsdiensten – kann dabei abschnittsweise wechseln, wenn sich die Wettbewerbsbedingungen wesentlich ändern (Ausnahmen gelten für Charter/Nostalgie und Punkt-zu-Punkt-Verkehre im SPFV sowie im SGV). Dabei soll die Komplexität des Entgeltsystems beherrschbar bleiben und Umgehungsmöglichkeiten sollen ausgeschlossen werden.
127Im Weiteren prüft die Klägerin zu 1. die Begriffspaare in Anlage 7 Nr. 1 zu § 36 Abs. 2 und § 39 ERegG und berücksichtigt folgende Paare nicht: Inländischer Verkehr/grenzüberschreitender Verkehr; Kombinierter Verkehr/Direktverkehr; Netzfahrplan/Ad-hoc-Verkehr.
128Innerhalb des hinsichtlich des Segments „Nacht“ allein maßgeblichen Schienenpersonenfernverkehrs erfolgt die Segmentierung des Endkundenmarktes anhand des Aufkommens und der Struktur der Reisenden. Diese Ausprägungen sind für die Klägerin zu 1. jedoch nicht direkt feststellbar, sodass sie sich dreier Kriterien bedient, die für sie beobachtbar und verifizierbar sind: Laufweg, Verkehrszeit, Geschwindigkeit.
129So stellen Verbindungen (Relation) zwischen Metropolbahnhöfen (mindestens 50.000 Reisende pro Tag) bzw. aufkommensstarken Grenzstellen (mindestens 5.250 Züge pro Jahr) aufgrund des hohen Fahrgastpotenzials einen attraktiven Markt dar.
130Die zeitliche Segmentierung unterscheidet ebenfalls nach Aufkommensstärke, wobei Tagesgang- bzw. Wochengangslinien maßgeblich sind. Zur Definition der Ausprägungen Hauptverkehrszeit und Nebenverkehrszeit wird die Studie „Mobilität in Deutschland“ aus dem Jahr 2008 herangezogen. Datengrundlage dieser für das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) durchgeführten Studie ist eine repräsentative Haushaltsbefragung zur Verkehrsmittelnutzung. Dabei wurden je Haushalt alle Wege berücksichtigt und je Weg wurden jeweils der Start- und Endzeitpunkt, die Reisedauer und die Verkehrsmittelnutzung erfasst. Danach wird zwischen drei Ausprägungen unterschieden: hohes Aufkommen (6:00 Uhr bis 20:00 Uhr, Mo. bis Fr.; 9:00 Uhr bis 20:00 Uhr, Sa./So.), niedriges Aufkommen (20:00 Uhr bis 23:00 Uhr; 6:00 Uhr bis 9:00 Uhr, Sa./So.) und sehr niedriges Aufkommen (23:00 Uhr bis 6:00 Uhr). Eine weitere Differenzierung (einzelne Wochentage, besonders aufkommensstarker Nachmittag) wird aufgrund der damit einhergehenden Komplexität verworfen. Die Zuordnung von Trassen zu den zeitlichen Marktsegmenten erfolgt – unter separater Betrachtung jedes einzelnen Halteabschnitts – aus Gründen der Einfachheit und Transparenz des Systems sowie der geringen „Manipulationsanfälligkeit“ minutenscharf.
131Das dritte Kriterium – Durchschnittsgeschwindigkeit – unterscheidet Züge, die unterschiedliche Endkundensegmente bedienen. Dadurch wird die steigende Zahlungsbereitschaft der Endkunden für eine sinkende Reisedauer abgebildet.
132Weitere Kriterien dienen der Abgrenzung des Punkt-zu-Punkt-Verkehrs vom Marktsegment Metro Tag (zeitliche Flexibilität, Anschlüsse, Frequenz), der Differenzierung von priorisiertem Verkehr, Verkehr mit einem speziellen Bedienkonzept, Nostalgie-, Lok- und Leerverkehr.
133Auf dieser Grundlage weisen die Klägerinnen im Schienenpersonenverkehr folgende Marktsegmente aus:
134Metro Tag,
Basic,
Nacht,
Charter/Nostalgie,
Leer-/Lokfahrt und
Punkt-zu-Punkt.
Die Segmente Metro, Basic, Nacht und Leer-/Lokfahrt verfügen jeweils noch über ein Untersegment „Express“.
142Die Segmente Metro (Ziffer 6.2.1.2.1. der SNB), Basic (Ziffer 6.2.1.2.2. der SNB) und Nacht (Ziffer 6.2.1.2.3. der SNB) definieren die Klägerinnen in ihrem Entgeltantrag entsprechend der jeweiligen Entgeltgrundsätze ausschließlich nach zeitlichen und/oder räumlichen Kriterien.
143Das streitgegenständliche Marktsegment Nacht umfasst danach alle Schienenpersonenfernverkehre, die im Zeitraum von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr verkehren (Zeitkriterium), es sei denn, es handelt sich um die Marktsegmente Charter/Nostalgie oder Leer-/Lokfahrt.
144Das Segment Punkt-zu-Punkt-Verkehr (Ziffer 6.2.1.2.8. der SNB) definieren sie neben zeitlichen Kriterien auch über eine maximale Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen benachbarten Metropolbahnhöfen, den Verzicht auf Anschlussbestellungen und die Hinnahme einer zeitlichen Flexibilität des Konstruktionsspielraums. Zudem dürfen pro Verkehrstag und Richtung in jedem Halteabschnitt höchstens vier Fahrten angemeldet werden.
145Charterverkehre sind nach Ziffer 6.2.1.2.7. der SNB unabhängig von Zeit- und Raumkriterien Trassennutzungen im Schienenpersonenfernverkehr, die zu einem bestimmten, für alle Teilnehmer gleichen und gemeinsamen Zweck angeboten werden. Auch Nostalgieverkehre werden zeit- und raumunabhängig definiert (Traktionsart Dampf, Alter des Triebfahrzeugs, Anerkennung des Zugangsberechtigten nach § 52 Abs. 1 AO); gleiches gilt für Leer-/Lokfahrten nach Ziffer 6.2.1.2.9. der SNB. Hier ist allein maßgeblich, dass die Nutzung durch Fahrgäste nicht freigegeben ist.
146bb. Die danach erfolgte Marktsegmentierung „Nacht“ erfüllt auch die weiteren eisenbahnregulierungsrechtlichen Kriterien der Effizienz, Nichtdiskriminierung und Transparenz.
147Die Beklagte kann ihre Erweiterung der Marktsegmentierung nicht damit begründen, dass sie eine eisenbahnrechtswidrige Ineffizienz der klägerischen Segmentierung „Nacht“ beseitige. Auch ein Verweis auf eine effizientere Segmentierungsmöglichkeit steht ihr als Begründung für ihren Eingriff nicht offen.
148Die seitens der Klägerinnen vorgenommene Segmentierung „Nacht“ ist effizient. In einem ersten Schritt haben sich die Klägerinnen dazu entschlossen, den Schienenpersonenfernverkehr in drei zeitliche Zonen aufzuteilen, wobei das Segment „Nacht“ ohne eine weitere Differenzierung den Zeitraum zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr umfasst. Die zwei weiteren Zeitzonen verteilen sich auf die Segmente „Metro“ und „Basic“, die sich wiederum hinsichtlich räumlicher Kriterien unterscheiden. Dabei ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass auch die Verkehrszeit der Erbringung des Verkehrsdienstes von dem in § 36 Abs. 3 Satz 1 ERegG enthaltenen Segmentierungskriterium der „Art“ der Personenbeförderung umfasst wird, weil die Verkehrszeit erheblichen Einfluss auf die Attraktivität des Verkehrsangebots besitzt und zur Unterscheidung unterschiedlicher Endkundenbedürfnisse tauglich ist.
149Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 110.
150Maßgeblich für die schlussendlich als eigenes Marktsegment herausgebildete und durch die Bundesnetzagentur genehmigte Verkehrszeit „Nacht“ zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr sind aus Sicht der Klägerinnen dabei die unterschiedlichen Endkundenbedürfnisse gegenüber anderen Marktsegmenten sowie die Tragfähigkeit dieser Verkehre aufgrund generell nachlassender Reisendenströme in der Nacht gegenüber tagsüber bzw. abends verkehrenden Zügen.
151Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. März 2019 – 13 B 1349/18 – juris Rn. 110.
152In Bezug auf die zeitliche Abgrenzung der Segmente findet eine minutenscharfe Zuordnung statt, wenn der Wechsel der Zeitabschnitte zwischen zwei Halteabschnitten liegt. Die eigentlichen Halte spielen bei dieser Methodik keine Rolle. Diese Zuordnungssystematik ist einfach handhabbar und erfordert einen überschaubaren Aufwand auf Seiten der Klägerinnen. Auch für die Zugangsberechtigten und weiteren Marktteilnehmer ermöglicht sie eine schnelle Zuordnung ihrer Trasse und eine nachvollziehbare Entgeltberechnung, die seitens der Zugangsberechtigten mit wenig Aufwand überprüft werden kann.
153Die beklagtenseits angedachte Erweiterung des Marktsegments „Nacht“ führt auch zu keiner gesteigerten Effizienz. Abgesehen davon, dass § 36 Abs. 1 Satz 1 ERegG lediglich eine Segmentierung auf der Grundlage effizienter Grundsätze verlangt und nicht nach der effizientesten Methodik fragt, ist nicht ersichtlich, dass mit der beklagtenseits angedachten Erweiterung ein Wohlstandsgewinn erreicht werden kann, der die damit verbundenen Transaktionskosten in einem Umfang übersteigt.
154Denn von dieser Erweiterung des Segments „Nacht“ würde – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nach damaligem und bis heute unverändert gebliebenem Stand lediglich ein einzelner Zugangsberechtigter mit seinem Verkehrskonzept wirtschaftlich profitieren. Dieser betrieb unter teilweiser Nutzung des Schienennetzes der Klägerinnen einen saisonalen Nachtzug zwischen Berlin und Malmö sowie in umgekehrter Richtung. Pro Jahr meldete er 22 Zugpaare bei der Klägerin zu 1. an, wobei lediglich die Relation, die in Berlin beginnt, von der Erweiterung betroffen wäre. Das monetäre Interesse an der Ausweitung des Marktsegments „Nacht“ betrug 11.825,22 Euro im Jahr 2018 (1.286,32 Euro statt 748,81 Euro je Trasse),
155vgl. Beschluss der Bundesnetzagentur vom 26. Juni 2018 (BK10-17-0288_E), Seite 4,
156und stellt damit das Maximum an erwarteten Wohlstandsgewinnen dar.
157Dem sind die zweifelsfrei entstehenden Transaktionskosten auf Seiten der Klägerinnen – bspw. in Form von Schulungen des Personals und Anpassung der IT – gegenüberzustellen. Auch wenn diese nicht konkret beziffert sind, ist davon auszugehen, dass sie den maximalen Wohlstandsgewinn von lediglich 12.000,- Euro übersteigen. Im Übrigen soll über die Anforderungen des Effizienzgebots keine (wettbewerbsrechtliche) Einzelfallgerechtigkeit in dem Sinne hergestellt werden, dass eine wettbewerblich bestmögliche Kostenermittlung und -verteilung erreicht wird. Hierauf liefe die der angedachten Erweiterung des Segments „Nacht“ zugrunde gelegte Systematik der Beklagten allerdings hinaus.
158Die Segmentierung „Nacht“ ist auch transparent. Die Klägerinnen haben die Segmentierungen in ihren SNB veröffentlicht. Für den durchschnittlich fachkundigen Zugangsberechtigten ist die Zuordnung zum Segment „Nacht“ anhand des alleinigen Zeitkriteriums eindeutig und klar möglich.
159Die Segmentierung führt auch zu keiner Diskriminierung. Soweit die Bundesnetzagentur darauf abstellt, dass es sich bei der Koppelung der Transportleistung mit Übernachtungsleistung um einen eigenen Teilmarkt handele, der spezifisch zu berücksichtigen sei, verkennt sie, dass innerhalb des Schienenpersonenfernverkehrs die Art und Weise des Personentransports in der bisherigen Segmentierungssystematik keine Rolle spielt. Zudem führt die angedachte Erweiterung nicht dazu, dass alle kombinierten Transport- und Übernachtungsleistungen umfasst wären. Voraussetzung der angedachten Erweiterung ist nämlich, dass in der zeitlich definierten Nachtzeit kein Halt erfolgt. Ginge man daher davon aus, dass eine eigene Segmentierung für Übernachtungsleistungen angezeigt sei, würde die Erweiterung möglicherweise ihrerseits zu einer Diskriminierung führen, da sie nicht alle Trassen, die eine Übernachtungsleistung betreffen, umfasst. Im Gegenteil legt die Klägerin zu 1. nachvollziehbar dar, dass ein Großteil des Nachtverkehrs im Schienenpersonenfernverkehr durchaus mehrere Halte aufweist und damit nicht in den Anwendungsbereich der Erweiterung fallen würde.
160Schließlich liegt auch keine Diskriminierung darin, dass der Zug in einer Fahrtrichtung einer anderen Segmentierung unterfällt als der gleiche Zug in Gegenrichtung. Hier fehlt es – bezogen auf das ausschlaggebende Kriterium Zeit – bereits an der Vergleichbarkeit. Denn in Konstellationen, in denen die eine Relation vollständig im zeitlichen Nachtbereich stattfindet, während die andere Relation in Gegenrichtung andere Zeitkorridore berührt, liegen keine geeigneten Vergleichsgruppen vor. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass nach Ansicht der Beklagten vergleichbare Personengruppen, die über Nacht ohne Zwischenhalt die Entfernung zwischen Berlin und Malmö überwinden wollen, auf beiden Relationen unterwegs sind. Denn die damit in Bezug genommene Endkundenreagibilität betrifft nicht die Frage Diskriminierungsfreiheit, sondern die für die Segmentierungsentscheidung unerhebliche bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit.
161cc. Innerhalb des Schienengüterverkehrs haben die Klägerinnen dagegen unterschiedliche Bedürfnisse von Endkunden (bspw. von Verladern oder Speditionen) und von den Eisenbahnverkehrsunternehmen in logistische Konzepte übersetzt und zusammengefasst. Die Segmentierung erfolgt daher anhand besonderer Anforderungen an den Transport, die sich aus dem Transportgut (Gefahrgut) oder der Konfiguration des Zuges (Zuggewicht, Wagenzuglänge, Trassenlänge) ergeben. Zudem werden Marktsegmente anhand der Flexibilität der Marktgegenseite im Hinblick auf die zeitliche und räumliche Trassenlage gebildet und verschiedene Prioritätssegmente geschaffen.
162Auf dieser Grundlage weisen die Klägerinnen im Schienengüterverkehr folgende Marktsegmente aus:
163Sehr schwerer Zug (Wagenzuggewicht übersteigt 3.000 Tonnen),
Gefahrgutganzzug,
Güternahverkehr (Trasse maximal 75 km, max. Wagenlänge 370 m, Wagenzuggewicht max. 3.000 Tonnen, keine gefährlichen Güter),
Standard (kein Fall eines Gefahrgutganzzugs, kein sehr schwerer Zug, kein Güternahverkehr und keine Lokfahrt),
Lokfahrt (Trassennutzung durch Lokomotive) und
Gefahrgutgüternahverkehrszug.
Die streitgegenständlichen Marktsegmente „Gefahrgutganzzug“ (Ziffer 6.2.1.4.2. der SNB) und „Gefahrgutgüternahverkehrszug“ (Ziffer 6.2.1.4.3.1. der SNB) definieren die Klägerinnen in ihrem Entgeltantrag dahingehend, dass diese alle Trassennutzungen umfassen, bei denen der jeweilige Zug auf einer Trasse weiter als 75 km („Gefahrgutganzzug“) bzw. nicht weiter als 75 km („Gefahrgutgüternahverkehrszug“) fährt, eine Wagenzuglänge von maximal 370 Metern aufweist, das Wagenzuggewicht 3.000 Tonnen nicht überschreitet und in dem ausschließlich gefährliche Güter nach dem Gefahrgutbeförderungsgesetz und der darauf basierenden Verordnung (GGVSEB – einschließlich dem RID) transportiert werden. Zudem umfasst der ausschließliche Transport von gefährlichen Gütern auch das Mitführen von leeren Wagen.
171dd. Die beklagtenseits beanstandete letzte Definitionsformulierung, wonach ein ausschließlicher Transport von gefährlichen Gütern auch das Mitführen von leeren Wagen umfasst, ist jedoch nicht eisenbahnrechtswidrig, da sie gemessen an § 36 Abs. 1 Satz 1 ERegG weder ineffizient noch intransparent oder diskriminierend ist. Die Formulierung verändert im Ergebnis nicht den Anwendungsbereich des Gefahrguttransports, sondern erweist sich nach Auslegung als eine rechtlich nicht zwingend erforderliche, aber unschädliche Klarstellung.
172Denn die Definition der Marksegmente „Gefahrgutganzzug“ und „Gefahrgutgüternahverkehrszug“ in den SNB der Klägerinnen stellt darauf ab, dass durch den jeweiligen Zug ausschließlich gefährliche Güter transportiert werden. Damit ist das jeweils konkrete Transportgut maßgeblich für die Frage, ob ein Gefahrguttransport vorliegt; unerheblich ist hingegen das Transportmittel (Wagen). Da ein leerer Wagen kein Transportgut beinhaltet und auch selbst nicht gleichzeitig Transportmittel und Transportgut sein kann, handelt es sich auch dann um einen Gefahrguttransport, wenn ansonsten durch alle andere Wagen als der oder die Leerwagen ausschließlich Gefahrgüter transportiert werden.
173Die Klägerinnen hatten sich aufgrund einer Publikation – DVZ-Brief vom 18. Mai 2017 – veranlasst gesehen, die Aufnahme des Definitionszusatzes für einen Gefahrguttransport der Bundesnetzagentur zur Genehmigung vorzulegen, um einem Missbrauchsrisiko zu begegnen. In besagter Publikation wurde als „Trick gegen hohe Trassenpreise für Gefahrgutzüge“ vorgeschlagen, an einen Gefahrguttransport einen leeren Wagen zu koppeln, um ein niedrigeres Entgelt zahlen zu müssen. Dieser – fehlerhaften – Interpretation des Autors des DVZ-Briefs begegnet die strittige Klarstellung, ohne den Anwendungsbereich des Gefahrguttransports zu verändern.
174Im Übrigen ist es nicht die Verpflichtung der Klägerinnen, die Bundesnetzagentur von einer hinreichenden Missbrauchswahrscheinlichkeit zu überzeugen. Vielmehr beschränkt sich umgekehrt die Prüfungskompetenz der Bundesnetzagentur darauf, eisenbahnrechtswidrige Regelungen in den SNB die Genehmigung zu verweigern. Eine solche Eisenbahnrechtswidrigkeit liegt jedoch nicht vor. Entsprechend dem zuvor ausgeführten Verständnis der Segmentierung führt der strittige Ergänzungssatz weder zu höheren Transaktionskosten noch weist er eine diskriminierende Wirkung auf. Auch in Bezug auf die Transparenzanforderungen bestehen keine Bedenken.
175II. Die Klage war im Übrigen abzuweisen.
1761. Denn der weitere Antrag,
177die Beklagte zu verpflichten, dem Antrag der Klägerinnen gemäß § 31 Abs. 2 ERegG auf Kostenunterdeckung in Höhe von 208 Mio. Euro stattzugeben,
178ist bereits unzulässig. Die seitens der Klägerinnen mit ihrem Antrag erhobene Verpflichtungsklage ist bereits unstatthaft. Nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist die Verpflichtungsklage statthaft, wenn der Kläger den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes begehrt.
179An dieser Voraussetzung fehlt es bereits, da die Beklagte den Antrag der Klägerinnen gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 ERegG auf Kostenunterdeckung im Beschluss genehmigt hat.
180Dies ergibt sich unmissverständlich aus der Beschlussbegründung, in der die Bundesnetzagentur ab Seite 104 ff. ausführlich ausführt, dass sie dem Antrag, eine Kostenunterdeckung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 ERegG zuzulassen, stattgibt. Soweit zwischen den Beteiligten eine Differenz in Bezug auf die Höhe der Kostenunterdeckung besteht, ist dies im vorliegenden Fall unschädlich, da § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG lediglich regelt, dass die Regulierungsbehörde auf Antrag von der Verpflichtung aus Satz 1, wonach der Betreiber der Schienenwege verpflichtet ist, mit der Summe der nach § 26 Abs. 2 ERegG ermittelten Entgelte die Gesamtkosten des Mindestzugangspakets zu decken, Ausnahmen zulassen kann.
181Die Tatsache, dass die Genehmigung nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG als eine einem Antrag bewilligende Entscheidung keinen ausdrücklichen Niederschlag im Beschlusstenor gefunden hat, ändert an der inhaltlichen Entscheidung der Bundesnetzagentur nichts.
1822. Ob in dem klägerischen Antrag als Minus die Begehr, eine Berichtigung des Beschlusses nach § 42 Satz 2 VwVfG zu erhalten, mit enthalten ist, kann dahinstehen.
183Der Beschluss ist offensichtlich unrichtig, da sich der aus der Beschlussbegründung ergebende Wille der Behörde (Stattgabe des Antrags nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG) nicht im Tenor niedergeschlagen hat.
184Anders als die Bundesnetzagentur annimmt, hat diese den Antrag nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG nicht konkludent in Ziffer 1. genehmigt. Denn in Ziffer 1. des Beschlusses wird nur auf die Anlage 1 des Beschlusses verwiesen, die die jeweils genehmigten Einzelentgelte ausweist. Aus der Anlage 1 wird allerdings nicht erkennbar, dass diese Entgelte in Summe nicht ausreichen, um die Gesamtkosten des Mindestzugangspakets zu decken und daher – im Verständnis der Bundesnetzagentur – dem klägerischen Antrag entsprochen wurde.
185Legte man die gegenteilige Rechtsauffassung der Bundesnetzagentur zu Grunde, widerspräche die in Ziffer 1. verfügte Regelung dem Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG, das den Zweck verfolgt, dass sichergestellt ist, zwischen wem (Adressat, Betroffene und Behörde) welche Rechtsbeziehung geregelt werden soll. Bei einer Genehmigung muss (auch im Verhältnis zu Drittbetroffenen) klar sein, was genau genehmigt wurde und welchen Umfang die gestattende Wirkung der Genehmigung hat.
186Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG, § 37 Rn. 2 und 28.
187Ob die Bundesnetzagentur es bewusst schlicht unterlassen hat, ihre im Beschluss begründete Stattgabe des Antrags zu tenorieren, oder ob – wie es die Klägerinnen annehmen – Ziffer 5., mit dem „die Anträge im Übrigen“ abgelehnt worden sind, auch gegen den erklärten Willen der Bundesnetzagentur den Antrag nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ERegG betrifft, kann dahinstehen, da in beiden Fällen der Tenor mit dem erkennbaren Willen der Behörde nicht übereinstimmt.
188Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG, § 42 Rn. 7.
189Ein so verstandener Klageantrag ist jedoch ebenfalls unzulässig ist. Insoweit fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da die Klägerinnen den Antrag auf Berichtigung des Beschlusses nicht vorab bei der Bundesnetzagentur gestellt haben.
190Vgl. zum Prozedere: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG, § 42 Rn. 43.
191III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 161 Abs. 2 Satz 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
192Hinsichtlich der Kostenquote berücksichtigt die Kammer, dass der Streitgegenstand aus den folgenden sieben Komplexen besteht bzw. bestand (sortiert nach streitig, Klagerücknahme, Hauptsachenerledigung):
1931. Segment „Nacht“,
2. Segment „Gefahrgut“,
3. Tenorierung des Antrags nach § 31 Abs. 2 ERegG,
4. Entgelt Standard,
5. Deckelung der Mindeststornierungs- und Änderungsentgelte,
6. Entgelt Charter/Nostalgie und Leer-/Lokfahrt und
7. Widerrufsvorbehalte.
Mangels Kenntnis der jeweiligen wirtschaftlichen Bedeutung ist von einem vergleichbaren Gewicht auszugehen.
202Vgl. ebenso: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – juris Rn. 92.
203Die Klägerinnen haben die Kosten gemäß § 155 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO zu tragen, soweit sie die Klage betreffend die Klagegegenstände „Entgelt Standard“, „Deckelung der Mindeststornierungsentgelte“ und „Deckelung der Änderungsentgelte“ zurückgenommen haben.
204Die Kosten hinsichtlich der übereinstimmend für erledigt erklärten Teile des Verfahrens sind gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands der Beklagten aufzuerlegen, da die erhobene Klage insoweit voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.
205Dies ergibt sich hinsichtlich der Entgelte „Charter/Nostalgie“ und „Leer-/Lokfahrt aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 12. Oktober 2022 (6 C 10.20). Unter Hinweis auf diese Entscheidung hat die Beklagte die Klägerinnen schließlich auch klaglos gestellt, indem sie unter teilweiser Aufhebung des angegriffenen Beschlusses die beantragten Entgelte mit Beschluss vom 4. August 2023 N03) genehmigt hat.
206Auch die beiden Widerrufsvorbehalte in den Ziffer 3. und 4. des Beschlusses waren rechtswidrig. Da es sich bei der Entgeltgenehmigung nach § 45 Abs. 1 Satz 2 ERegG um eine gebundene Entscheidung handelt, darf diese nur nach § 36 Abs. 1 VwVfG mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Dies war jedoch nicht der Fall. Weder ermächtigt das Eisenbahnregulierungsgesetz die Bundesnetzagentur dazu, eine Entgeltgenehmigung mit einer Nebenbestimmung zu versehen. Noch waren die Widerrufsvorbehalte erforderlich, um den Erlass der begünstigenden Entgeltgenehmigung anstelle einer ansonsten angezeigten Versagung zu ermöglichen.
207Im Übrigen richtet sich die Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
208Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 709 und § 711 ZPO.
209Die Berufung war gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die hier entscheidungserheblichen Fragen der Entgeltgenehmigung im Eisenbahnsektor – Maßstäbe der Segmentierungsentscheidung – haben grundsätzliche Bedeutung. Da es sich hierbei um reine Rechtsfragen handelt, die Bundesrecht und damit nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO revisibles Recht betreffen, hat die Kammer zugleich die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz (Sprungrevision) zugelassen, § 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
210Rechtsmittelbelehrung
211Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
212Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
213Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten stattdessen die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu. Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig eingelegt wird. Die Zustimmung zu der Einlegung der Sprungrevision (§ 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist der Revisionsschrift beizufügen. Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
214Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
215Beschluss
216Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
2176.000.000 €
218festgesetzt.
219Gründe
220Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Klägerinnen ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Dabei hat sich die Kammer an der Streitwertfestsetzung des Bundesverwaltungsgerichts,
221Beschluss vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 –,
222orientiert. Die dortige Entscheidung betraf den diesem Verfahren unmittelbar vorausgehenden Entgeltgenehmigungszeitraum.
223Rechtsmittelbelehrung
224Gegen diesen Beschluss kann Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
225Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
226Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
227Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.