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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits sowie die außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die Klägerin macht kartellrechtliche Schadensersatzansprüche wegen des sog. Kaffeerösterkartells gegen die kartellbeteiligte Beklagte geltend.
3Die Klägerin ist Lebensmittelgroß- und Einzelhändlerin und betreibt u.a. die A1-Märkte, außerdem Bäckerei-Filialen. Die A2 Handels GmbH & Co KG (im Folgenden A2) ist eine mit der Klägerin verbundene Gesellschaft.
4Die Klägerin und die Zedentin A2 bezogen im Zeitraum von Anfang 2002 bis September 2009 von der Beklagten und den Mitkartellanten C1 Filterkaffee, Ganze Bohne, Espresso und Kaffeepads zu einem sogenannten „Netto-Netto“-Warenwert von rund 58,7 Mio €. Wegen der Darlegung der Kaffeebezüge wird auf Bl. 22 ff. d.A. sowie die Anlagen K 4 und K 5 (auf CD bzw. USB-Stick) K 31, „K 4 neu“ und „K 5 neu“ Bezug genommen.
5Beide veräußerten die Kaffeeprodukte an 7 Tochter-bzw. Vertriebsgesellschaften. Diese und die A2 traten wiederum etwaige Schadensersatzansprüche an die Klägerin ab (Anlagen K 1). Mit weiteren Erklärungen gaben die Parteien der Abtretung an, die Zedentinnen hätten das wirtschaftliche Interesse an den abgetretenen Forderungen abgegeben und keinen Anspruch auf Auskehrung eines etwaigen Prozesserlöses (Klarstellungserklärungen K 29). Die Wirksamkeit der Abtretungen steht zwischen den Parteien in Streit.
6Die Beklagte bietet unter der Marke „D1“ Kaffeeprodukte und -maschinen an. Die D1 Kaffee GmbH, die Nebenbetroffene im Bußgeldverfahren des Bundeskartellamtes war, wurde durch Verschmelzungsvertrag v. 22.10.2012 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Beklagte verschmolzen.
7Mitte 2008 leitete das Bundeskartellamt ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Kaffeeröster ein. Gegen einen Bußgeldbescheid v. 18.12.2009 (K 7) ging die Beklagte vor. Mit rechtskräftigem Urteil v. 10.02.2014 verhängte das OLG Düsseldorf (V -4 Kart 5/11 OWi) gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der D1 Kaffee GmbH wegen der Beteiligung am sog. Kaffeerösterkartell eine Geldbuße von 55 Mio €.
8Wegen der Einzelheiten wird auf die soeben genannten Entscheidungen Bezug genommen.
9Das im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 in den genannten Entscheidungen festgestellte Horizontalkartell bestand dabei zwischen den führenden drei indirekt vertreibenden Kaffeeröstern sowie dem ausschließlich im direkten Vertrieb tätigen Röster E1 und betraf Röstkaffee in Form von Filterkaffee, Ganze Bohne, Kaffeepads,-kapseln und sog. Kaffeespezialitäten. Im indirekten Vertrieb setzten die Kaffeeröster ihre Röstkaffeeprodukte über den als Handelsstufe zwischengeschalteten Lebensmitteleinzelhandel an den Endverbraucher ab.
10Der Markt für Röstkaffe zeichnet sich durch eine hohe Preissensibilität der Endverbraucher aus. Daraus folgt eine besondere Bedeutung sog. Aktionspreise, die Röstkaffee zu einem sog. Frequenz- oder Zugartikel machen. Der Großteil des Kaffeeabsatzes, nämlich bis zu 80 %, wird zu solchen Aktionspreisen vermarktet, was sich auch auf die Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferanten, Kaffeeröstern und dem Handel auswirkt
11Die Absatzmärkte für Röstkaffee sind dabei von einer hohen Markttransparenz hinsichtlich der Preise gekennzeichnet. Dies gilt nicht nur für die Endverkaufspreise des Handels, sondern auch für die Brutto-Fabrikabgabepreise.
12Prägend ist insofern auch die bestehende Preisarchitektur, die – orientierend an den unterschiedlichen Qualitäten – zwischen Premium-, mittlerem und Niedrigpreissegment unterscheidet. Dem entsprach ein regelmäßiges Preisabstandsgefüge zwischen den Produkten, das sowohl die Regal- wie auch die Aktionspreise betraf.
13Bereits kleine Veränderungen in den Endverkaufspreisabständen konnten zu nicht unerheblichen Wechselbewegungen der Konsumenten und damit zu Marktanteilsverschiebungen zwischen den Röstkaffeeherstellern führen.
14Das kartellrechtswidrige Verhalten bestand dabei aus einer Grundabsprache, die sich auf die Wahrung der bestehenden Preisarchitektur bezog, sowie aus diversen Preiserhöhungen ab Mai 2003, die sich jedoch nicht allesamt am Markt durchsetzen konnten. Die beteiligten Kaffeeröster einigten sich darauf, ihr Marktverhalten im Hinblick auf die Preisfestsetzungen künftig so zu koordinieren, dass das an den Endverbrauchermärkten gewachsene Preisabstandsgefüge in den Endverkaufs- und Aktionspreisen ihrer Hauptprodukte im Kern aufrechterhalten würde. Die Verständigung auf der Basis von Endverkaufs- und Aktionspreisen, die vor allem der Ausrichtung der Absprache auf das Preisgefüge an den Endabsatzmärkten unter Einbindung von E1 geschuldet war, ermöglichte es Kaffeeröstern, hieraus die erforderliche Anhebung des Fabrikabgabepreises margenneutral abzuleiten. Darüber hinaus ergingen in den Jahren 2014/2015 (19.12.2014, 10. und 16.06.2015 sowie 23.12.2015) Bußgeldbescheide wegen vertikaler Preisabsprachen beim Vertrieb von Röstkaffee. Gegen die Beklagte, die vor Einleitung dieses Verfahrens umfassend kooperiert hatte, wurde kein Bußgeld verhängt (Anlage B 1 Fallbericht des Bundeskartellamtes v. 18.01.2016). Auf die Beschwerde einer der Beteiligten erging eine - im weiteren Verlauf aufgehobene - Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 28.02.2018 (4 Kart 3/17 OWi - F1). Das Verfahren ist derzeit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
15Die Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien erfolgten einerseits über die Einkaufskooperation G1 Handelsgesellschaft GmbH (G1), andererseits auch parallel direkt zwischen Klägerin und Beklagter. Dabei wurden sog. „Konditionsvereinbarungen“ jeweils in der 2. Jahreshälfte für das Folgejahr abgeschlossen. Regelmäßig erfolgte die Verhandlung der jährlichen Erwerbskonditionen über die G1, der Abschluss der einzelnen Verträge auf dieser Grundlage dann jeweils durch die Klägerin.
16Seit der Konditionsvereinbarung 2003 enthielten diese folgenden Passus: „Preispflege wird regional abgestimmt“. Hierdurch wurde die Abstimmung der Verkaufspreise auf die einzelnen Gesellschaften verlagert. Seit der Konditionsvereinbarung 2004 hieß es zusätzlich: „Bei Preispflegekonzepten fühlt sich G1 nur hieran gebunden, wenn dieses Konzept national umgesetzt wird.“ Erst in der Vereinbarung 2008 – in jedenfalls zeitlichem Zusammenhang mit Ermittlungen des Bundeskartellamtes wegen des Süßwarenkartells - wurde diese Formulierung ersetzt durch den Satz „Unverbindliche Preisempfehlungen werden zur Kenntnis genommen.“
17Zusätzlich zu den Jahresgesprächen, in denen Verhandlungen zum Einkaufspreis für das folgende Jahr geführt wurden, ferner zu Sonderkonditionen und Vergütungen für Aktionen, gab es unterjährige Verhandlungen zur Planung von etwa 10 Sonderaktionen pro Jahr.
18Zur Vorbereitung der jeweiligen Gespräche gab es einerseits persönliche Kontakte zwischen Mitarbeitern der Beklagten und Ansprechpartnern bei der Klägerin, andererseits wurden Preisspiegel, die auch die Verkaufspreise anderer Lebensmitteleinzelhändler enthielten, übermittelt.
19Die Klägerin behauptet, bereits die im Urteil OLG Düsseldorf (V - 4 Kart 5/11 OWi) bindend festgestellte Grundabsprache zwischen den vier beteiligten Kaffeeröstern als solche habe zu einer kartellbedingten Überhöhung der Einkaufspreise geführt. Entgegen des Vortrags der Beklagten habe das Kaffeerösterkartell nicht nur aus den fünf einzelnen Preiserhöhungen bestanden.
20Die Klägerin behauptet weiter, aufgrund der kartellrechtswidrigen Absprachen einen Gesamtschaden von 4.296.721,69 € erlitten zu haben. Im Kartellzeitraum bis einschl. März 2008 habe die kartellbedingte Preisüberhöhung 11,1 % betragen, im Nachkartellzeitraum 3,9 %. Hierzu verweist sie auf Privatgutachten der H1 (J1 v. 17.01.2020 Schadensschätzung A2 – Anlage K 9) sowie vom 06.04.2021 (Schadensschätzung A2 – Replik – Anlage K 30).
21Anhand der zeitlichen Vergleichsmarktmethode (Während-Nachher-Analyse) sowie von Regressionsanalysen werde der Kartelleffekt dort zutreffend geschätzt. Der ermittelte Kartellschaden belaufe sich während des Kartellzeitraumes auf 3.708.513,08 € und während des Nachlaufzeitraumes auf 588.208,62 €. Hinsichtlich des Einwandes, die Bezüge aus den Jahren 2002, 2003 und 2004 lägen vor der ersten laut Bescheid durchgesetzten Preiserhöhung, verkenne die Beklagte die Wirkung der im Jahr 1999 getroffenen Grundabsprache, die bereits für sich genommen Grundlage des Kaffeerösterkartells gewesen sei und seit dem Jahr 2000 eine wettbewerbliche Wirkung gehabt habe. Insbesondere sei es trotz fallender Rohstoffkosten nicht zu entsprechenden Preissenkungen gekommen. Die Bezüge seien somit in zeitlicher Hinsicht kartellbetroffen.
22Auch ein Nachlaufeffekt sei im Gutachten J1 belegt.
23Weiter ist die Klägerin der Ansicht, für überhöhte Einkaufspreise streite ein Anscheinsbeweis, jedenfalls aber eine tatsächliche Vermutung.
24Die durch die Beklagte vorgelegten Privatgutachten seien unzutreffend, zumal sie von einer fehlerhaften Datengrundlage und einem unzutreffenden Sachverhalt ausgingen.
25Die Beeinflussung des Endverkaufspreises sei lediglich eine mittelbare Folge der horizontalen Absprache des Kaffeerösterkartells gewesen, eine vertikale Komponente habe es nicht gegeben. Die Hersteller seien durch ihr eigenes Preissetzungsverhalten in der Lage gewesen, das Verhalten der Handelsunternehmen bei der Bestimmung der Endverbraucherpreise zu beeinflussen. Der darüber hinaus gehende Sachvortrag der Beklagten widerspreche jedenfalls den bindenden Feststellungen des OLG Düsseldorf.
26Das OLG Düsseldorf habe ein reines Horizontalkartell ohne vertikale Komponente festgestellt. Auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf in Sachen „F1“ enthalte keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den dort gegenständlichen Verhaltensweisen und dem Kaffeerösterkartell. Sie, die Klägerin, sei weder Teilnehmerin eines Hub&Spoke-Kartells, noch in bilaterale Preismoderationen eingebunden gewesen, noch habe sie von vertikalen kollusiven Verhaltensweisen zwischen den Kartellanten und anderen Händlern Kenntnis gehabt. Auch handele es sich bei den beiden Sachverhalten weder um ein einziges Kartell, noch seien die jeweils sanktionierten Absprachen in zeitlicher Hinsicht deckungsgleich.
27Die Klägerin habe versucht, die seitens der Beklagten erhobenen Vorwürfe aufzuklären. Die internen Ermittlungen hätten indessen gezeigt, dass keine Absprachen über die Erhöhung der Endverkaufspreise getroffen worden seien, obwohl die Beklagte dies offenbar wiederholt versucht habe. Sie räumt insofern pauschal ein, es habe tatsächlich „einzelfallbezogene Verhaltensweisen, welche aus heutiger Sicht unter Compliance-Gründen nicht mehr vollzogen werden würden“ gegeben.
28Um das Aktionspreisniveau trotz der hohen Einkaufspreise wettbewerbsfähig zu halten, habe die Klägerin eine intensive Wettbewerbsbeobachtung durchgeführt, wobei Wettbewerber Röstkaffee offenbar günstiger hätten anbieten können. Aufgrund der Funktion von Kaffee als „Zugartikel“ und der im Vergleich zu den Wettbewerbern höheren Einkaufspreisen sei die Klägerin wiederholt gezwungen gewesen, Verluste beim Verkauf von Röstkaffee hinzunehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
29Die Beschwerden der Klägerin wegen günstigerer Aktionspreise von Wettbewerbern seien in diesem Zusammenhang zu sehen und hätten – wie auch der Austausch über Weiterverkaufspreise – stets nur der Verhandlung günstigerer Einkaufspreise gedient, nicht aber, um die Beklagte zum Einschreiten gegenüber Wettbewerbern aufzufordern. Die Klägerin habe sich an den Preisen der Wettbewerber orientiert, nicht aber an „Vorgaben“ der Beklagten.
30Die von der Beklagten geschilderten Einzelbegebenheiten seien jeweils in diesem Zusammenhang zu sehen: So habe z.B. das Treffen am 02.07.2002 lediglich einen bilateralen Sachverhalt ohne Bezug zu Kaffeeröster- oder Hub&Spoke-Kartell betroffen, nämlich die Bestimmung der Einkaufspreise. Auch die durch die Beklagten angesprochene Aktennotiz vom 13.11.2002 habe sich auf einen Einzelfall bezogen.
31Für die Klägerin habe es auch keinen Anlass gegeben, von kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Beklagten und der Streitverkündeten auszugehen. Die zeitgleichen Preiserhöhungen seien vielmehr sachlich begründet gewesen und ein Zeichen für funktionierenden Wettbewerb.
32Die Klägerin sei im Übrigen nur eine kleine Marktteilnehmerin, so dass nicht ersichtlich sei, weshalb ihre Beteiligung am Preismoderationssystem der Beklagten erforderlich gewesen sein sollte. Vielmehr ergebe sich selbst aus dem K1-Gutachten, dass es erhebliche Abweichungen von den Preisvorgaben der Beklagten gegeben habe.
33Von Preiserhöhungen im Rahmen des Kaffeerösterkartells habe die Klägerin nicht profitiert. Diese hätten vielmehr dazu geführt, dass sie in anderen Bereichen weniger Waren veräußert und dort Verluste erlitten habe.
34Auf den Hinweisbeschluss der Kammer hin hat die Klägerin eine weitere Stellungnahme der J1 vom 03.05.2022 (K 32) vorgelegt. Die Klägerin weist darauf hin, dass dieses Gutachten insbesondere zu dem Ergebnis gelange, dass die Klägerin während des Kartellzeitraums kartellbedingte Margenkürzungen habe hinnehmen müssen: Die durchschnittliche Marge je 500 g-Packung Kaffee habe im Kartellzeitraum bei 0,27 € und im Nachkartellzeitraum bei 0,53 € gelegen. Eine (vollständige) Weitergabe der kartellbedingten Preiserhöhung an die Abnehmer habe es nicht gegeben.
35Einschränkungen über den Schutzzweck der Norm oder § 254 BGB seien nicht vorzunehmen, zumal die der Klägerin vorgeworfenen Handlungen bzw. Kenntnisse sich auf ein weiteres Kartell beziehen würden.
36Der Weiterwälzungseinwand sei schon deshalb ausgeschlossen, da auf der nachgelagerten Marktstufe allenfalls Streuschäden zu erwarten seien. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt, da während des Ermittlungsverfahrens und durch die später unterzeichnete Verjährungsverzichtsvereinbarung eine Hemmung der Verjährung eingetreten sei.
37Die Klägerin beantragt,
38die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Schadenersatzzahlung zu leisten, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 4.296.721,69 € zzgl. Zinsen in Höhe von jährlich 4 %-Punkten über dem Basiszinssatz bis zum 30.06.2005 und jährlich 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2005 nach folgender Maßgabe:
39- aus einem Betrag in Höhe von 706.450,45 € seit dem 01.01.2003;
40- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 607.385,90 € seit dem 01.01.2004;
41- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 628.989,79 € seit dem 01.01.2005;
42- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 559.180,14 € seit dem 01.01.2006; - aus einem weiteren Betrag in Höhe von 616.963,48 € seit dem 01.01.2007;
43- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 512.386,76 € seit dem 01.01.2008;
44- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 359.903,56 € seit dem 01.01.2009 und
45- aus einem weiteren Betrag in Höhe von 305.461,62 € seit dem 01.01.2010;
46die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die Gutachterkosten in Höhe von 131.534,40 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
47Die Beklagte und die Nebenintervenienten beantragen,
48die Klage abzuweisen.
49Sie sind der Ansicht, die Struktur der klägerischen Unternehmen sei nicht vollständig transparent. Die Abtretungen seien daher wegen eines Verstoßes gegen das RDG unwirksam.
50Zudem stelle die Klägerin die Funktionsweise des Kaffeerösterkartells fehlerhaft dar: Es sei vielmehr von der Besonderheit marktstufenübergreifender Umsetzung geprägt worden. Der gegen die Mitkartellantin E1 ergangene (bestandskräftige) Bußgeldbescheid v. 18.12.2009 (B 62) belege, dass E1 Vorgehen Gegenstand der Kartellabsprachen der übrigen Kaffeeröster sei. Die Art und Weise der Teilnahme E1 am Kaffeerösterkartell sei von zentraler Bedeutung für dessen Verständnis:
51Die Absprache der Endverkaufs- und Aktionspreise sei unmittelbarer Gegenstand des Kartells gewesen, so dass der Absatz an Endverbraucher trotz der damit verbundenen Beteiligung mehrerer Marktstufen wegen der Beteiligung E1 Teil der Kartellabrede gewesen sei. Das Vorgehen von E1 im Rahmen der Preiserhöhungen sei nur in zeitlicher Hinsicht nachgelagert. Es sei gerade kein reaktives Vorgehen gewesen, sondern vielmehr vorab gesteuert worden, da es ausdrücklich Gegenstand der Kartellabsprache gewesen sei.
52Die untrennbare Verbindung beider Marktstufen beim Kaffeerösterkartell ergebe sich insbesondere daraus, dass sich die Preisarchitektur auf die Abgabepreise an den Endverbraucher bezogen habe.
53Die Beklage behauptet, die Klägerin sei an Vertikalabsprachen im Rahmen eines „Hub&Spoke-Kartells“ beteiligt gewesen und könne schon deshalb keinen Schadensersatz geltend machen. Der Sachverhalt müsse unter Berücksichtigung dieses Vertikalkartells des Handels gewürdigt werden. Das von der Beklagten betriebene System der „Preispflege“ sei nur denkbar gewesen, weil sich alle relevanten Marktteilnehmer am Vertikalkartell beteiligt hätten. Bei der Klägerin handele es sich aufgrund ihrer regionalen Bedeutung auch nicht um ein kleines oder mittleres Unternehmen. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung hätte das Vertikalkartell ohne die Klägerin nicht funktionieren können.
54Die Endverkaufspreise der Klägerin seien stets Gegenstand der Jahresgespräche mit G1 gewesen. Die Beklagte habe G1 dabei stets die angeforderten Preisspiegel zur Verfügung gestellt. Auch die Endverkaufspreise bei anderen Herstellern seien Gesprächsinhalt gewesen.
55Die Kenntnis der Klägerin von den horizontalen Absprachen der Kaffeeröster ergebe sich auch aus der kartellbedingten Verhaltensänderung der Kaffeeröster. Im Gegensatz zu dem von intensivem Wettbewerb geprägten Vorkartellzeitraum seien die Preiserhöhungen nunmehr gleichzeitig vorgenommen worden - so auch die Feststellungen des OLG Düsseldorf - um die Gefahr möglicher Marktanteilsverschiebungen zu minimieren. Die umgekehrte Entwicklung habe sich dann auch nach Ende des Kartells Mitte 2008 vollzogen. Der Normalfall bei funktionierendem Wettbewerb seien zeitlich gestreckt erfolgende Preiserhöhungen, wie auch beispielsweise im Jahr 2021, als diese von Kampagnen mit kostenpflichtigen Anzeigen begleitet worden seien. Dieser zeitliche Verzug sei für den Kartellzeitraum beseitigt worden, zumal dies gerade der wesentliche Sinn und Zweck des Kartells gewesen sei. Insbesondere seit der ersten Preiserhöhung hätten die Kartellanten exakt zeitgleich agiert. Die vier abgestimmten Preiserhöhungen ab dem Jahre 2003 seien mit Kenntnis des Handels im Markt durchgesetzt und fast durchgehend am selben Tag von den Kaffeeröstern angekündigt worden (Preiserhöhungsschreiben B 57 / Urt. OLG Düsseldorf Rn. 80, 95, 72).
56Eine eigene Preiserhöhung unmittelbar nach Kenntnis von einer Preiserhöhung der Wettbewerber anzukündigen, sei aufgrund der internen Abläufe schon nicht möglich. Dies sei auch den erfahrenen Einkäufern der Klägerin bekannt gewesen.
57Auch aus dem ökonomischen Gutachten N1 v. 17.08.2021 (B 58) ergebe sich, dass die Umstände der Preiserhöhungen nur den Schluss auf eine Kenntnis bzw. ein Kennen-Müssen der Klägerin von den horizontalen Absprachen zuließen.
58Die Kenntnis des Handels bzw. der Klägerin erweise sich als zwingend, wenn man das Vorgehen des direkt vertreibenden Kartellanten E1 mit einbeziehe. Dies werde besonders angesichts der Preiserhöhung v. 20./25.4.2005 deutlich (Rz. 55 ff. des Bußgeldbescheides), bei der alle Kartellanten einschließlich E1 gegenüber dem Handel einheitlich und zeitgleich aufgetreten seien.
59Zudem habe es stets Preisübersichten mit Zielpreisen der Wettbewerber gegeben, um zu verdeutlichen, dass die bestehende Preisarchitektur gewahrt werde.
60Auch die jeweiligen Preiserhöhungsschritte seien parallel erfolgt bzw. teilweise exakt gleich gewesen (maximale Abweichung 20 Cent).
61Zudem habe es identische Altpreiskontingentierungen gegeben. Dabei habe es sich um ein zentrales Steuerungselement gehandelt, um die gleichzeitige Anhebung der Aktions- und Endverkaufspreise des Handels zu erreichen und dem Handel zeitlich begrenzte Arbitragegeschäfte zu ermöglichen. Das zeitlich und inhaltlich gleiche Vorgehen sei auch nicht dadurch zu erklären, dass die „input-Kosten“ der Röster gestiegen wären. Die Entwicklung des Rohkaffeepreises treffe die Röster zeitlich versetzt, da diese zum einen über Warentermingeschäfte einkauften, und sich zum anderen gegen das Wechselkursrisiko absicherten. Zudem hänge der Rohkaffeepreis von den unterschiedlichen Sorten bzw. Mischungsverhältnissen ab und von den unterschiedlichen Unternehmensstrukturen. Insgesamt bestehe eine extrem geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass es ohne entsprechende Absprachen zu einer identischen Entwicklung gekommen wäre.
62In den - bereits in den Preiserhöhungsschreiben angekündigten - Gesprächen sei den Handelskunden vorkalkuliert worden, dass die Preiserhöhung durch Anhebung der Endverkaufspreise margenneutral erfolge. Die Handelskunden, einschließlich der Klägerin, hätten sich in den Verhandlungsterminen jeweils rückversichert, dass die Preiserhöhung markenübergreifen abgestimmt sei, dass ferner konkurrierende Handelsunternehmen zeitgleich die gleiche Erhöhung vornähmen und dass schließlich der direkt vertreibende Kaffeeröster E1 entsprechend nachziehe. Auch die „Backcharts“ zur Vorbereitung der Jahresgespräche zur Konditionsvereinbarung hätten stets auch die herstellerübergreifende Entwicklung der Aktionspreise enthalten (z.B. Anlage B 15).
63Das System der bundesweiten Preispflege im Rahmen vertikaler Absprachen bzw. eines Hub&Spokes-Kartells habe nur funktioniert, weil die Endverkaufspreise von sämtlichen Handelsunternehmen und über alle Aktionen im Laufe des Jahres eingehalten worden seien. Gesichert worden sei dies durch ein systematisches „Preistracking“ (im Einzelnen: OLG Düsseldorf V-4 Kart 3/17 OWi - F1 - Rn. 55, 56). Insbesondere bei Preisunterschreitungen habe die Beklagte interveniert und das jeweilige Unternehmen auf die unerwünschten Konsequenzen eines Preiskampfes hingewiesen. Teilweise habe es Schreiben der jeweiligen Handelsunternehmen gegeben, in denen dann auf ein Versehen verwiesen wurde, so dass die Beklagte dies den anderen Handelsunternehmen zur Vermeidung eines Preiskampfes habe vorlegen können.
64Formalen Schriftverkehr habe es in erster Linie bei Störungen, d.h. Abweichungen vom vereinbarten Preis gegeben, kaum zu den eigentlichen Preisvereinbarungen. Hierzu seien lediglich Aktennotizen, Besuchsberichte etc. vorhanden. Die Klägerin habe an dem seit Ende der 1990er aufgebauten Preispflegesystems bis zu dessen Ende im Juli 2008 teilgenommen.
65Auch zwischen den Streitverkündeten und der Klägerin habe es ein umfassendes Preislenkungssystem gegeben. Die Klägerin habe jedenfalls die vereinbarten Endverkaufspreise weitestgehend eingehalten. Aus der Anlage B 30 (Zielpreise Beklagten / Endverkaufspreise Klägerin) ergebe sich, dass die Klägerin äußerst diszipliniert am Kaffeekartell beteiligt gewesen sei. Ihr Preisverhalten habe genau dem der Handelsunternehmen entsprochen, die sich am Hub&Spoke-Kartell beteiligt hätten.
66Insbesondere aus einem Schreiben der Klägerin v. 9.1.2006 (B 16) ergebe sich, dass die Klägerin von einer Absprache bezüglich der Aktionspreisgestaltung ausgehe und diese auch mit den Wettbewerbern vereinbart worden sei. Die Beklagte habe hierauf umgehend mit Schreiben v. 11.1.2006 geantwortet (B17) und darauf verwiesen, bei den betreffenden Händlern bereits interveniert zu haben. Diese Vorgehensweise sei typisch gewesen und häufiger praktiziert worden, so auch zu Beginn des Jahres 2007 (B 18/19).
67Die Klägerin habe von der Teilnahme am Vertikalkartell profitiert, insbesondere auch durch die Kenntnisse von den Preiserwägungen und Preisplanungen der Wettbewerber, so dass sie grundsätzlich vor preisagressiven Wettbewerbsvorstößen der großen Handelsunternehmen gefeit gewesen sei und mithin die künftige Preisentwicklung vorhersehbarer gewesen sei.
68Soweit die Klägerin vortrage, es handle sich bei diesen beiden Komplexen um voneinander unabhängige Verhaltensweisen, gehe dies fehl. Vielmehr sei das Hub&Spoke-Kartell das Mittel gewesen, um einvernehmlich mit dem Handel dessen Preisverhalten zu steuern.
69Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Urteile des OLG Düsseldorf in Sachen F1 und in Sachen D1 stünden dem nicht entgegen. Insbesondere sei keine negative Bindungswirkung im Hinblick auf einen fehlenden Bezug des Kaffeerösterkartells zum Handel bzw. im Hinblick auf eine vertikale Komponente anzunehmen.
70Ein Schaden der Klägerin werde durch die Verschränkung des Kaffeerösterkartells mit dem Vertikal- oder Hub&Spoke-Kartell des Handels, die Einbindung der Klägerin in dieses Kartell und ihre Kenntnis vom Kaffeerösterkartell ausgeschlossen. Die Beklagte ist der Ansicht, es fehle schon der Zurechnungszusammenhang; jedenfalls aber sei ein Schaden ausgeschlossen, weil die im Rahmen des Vertikalkartells vereinbarten Erhöhungen der Endverbraucherpreise als wirtschaftliche Vorteile zu berücksichtigen seien. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kartellrechtsverstoß und Schaden bestehe nicht. Wegen der eigenverantwortlichen Beteiligung der Klägerin an der Umsetzung des Kaffeerösterkartells sei ein etwaiger Schaden der Beklagten nicht objektiv zurechenbar. Dabei verweist die Beklagte auf das vorgelegte Rechtsgutachten (vgl. Anlage B 2).
71Zudem sei der Klägerin kein Schaden entstanden bzw. ein solcher sei nicht hinreichend dargelegt.
72Bereits die zugrunde liegenden Erwerbsvorgänge seien nicht hinreichend vorgetragen. Die Beklagte bestreitet insoweit die erstellten Listen ohne Rechnungsbelege (Anlagen K 4 und 5) mit Nichtwissen. Ferner rügt sie, dass unklar sei, welche Unternehmenseinheiten bei den Streitverkündeten Waren bezogen hätten.
73Sie behauptet ferner, dass jedenfalls in Zeiträumen ohne Preiserhöhung die Erwerbsvorgänge nicht als kartellbefangen anzusehen seien, insbesondere habe es keine Auswirkungen auf Erwerbsvorgänge vor der ersten Preiserhöhung im April 2003 gegeben. Insgesamt falle mehr als die Hälfte des vermeintlichen Schadens in diese Zeiträume.
74Aufgrund des sog. „Wasserbetteffektes“ habe das Horizontalkartell (für sich genommen) keine preistreibende Wirkung gezeigt, da lediglich der Fabrikabgabepreis der Kaffeeröster und nicht der effektive Abgabepreis gegenüber dem Handel Gegenstand der Absprachen gewesen sei. Aufgrund der marktstufenübergreifenden Ausgestaltung habe es sich nicht um ein klassisches Preiskartell gehandelt, weshalb einer tatsächlichen Vermutung für einen kartellbedingten Schaden kein besonderes Gewicht zukomme.
75Im konkreten Fall führe die empirische Ermittlung eines Nullschadens der Klägerin auch nicht zu einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch, da hier gerade keine Kernindizien für einen Schaden erkennbar seien. Vielmehr spreche hier die Gesamtwürdigung aller Indizien aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Kartells gegen einen Schaden, zumal ein solcher jedenfalls auf die Ebene der Verbraucher durchgeleitet worden sei.
76Zudem sei auch die klägerische Schadensschätzung methodisch unzureichend und nicht tragfähig. Das klägerische Gutachten sei nicht belastbar, sondern weise methodische und inhaltliche Mängel auf. Die Beklagte verweist hierzu auf das von ihr in Auftrag gegebene K1-Gutachten v. 19.08.2020 (B 3) und das Gutachten der N1 (Quantifizierung angeblich kartellbedingter Preisaufschläge im Markt für die Beschaffung von Röstkaffee – Stellungnahme zu dem […] Gutachten v. 06.04.2021, B 63)
77Die Schadenstheorie der Klägerin gehe fehl, da die Grundabsprache allein der Stabilisierung des Preisniveaus gedient und gerade keine Erhöhung bezweckt habe. Die deskriptive Analyse im klägerischen Privatgutachten greife bis 2002 auf den Kaffeepreisindex zurück, der jedoch für die A2-Preise nicht repräsentativ sei.
78Die methodische Vorgehensweise des sog. A2-Gutachtens sei fehlerhaft, da die empirische Analyse nur des Abgabepreises an den Handel die vertikale Dimension des Kartells und die Beteiligung der Klägerin hieran außer Acht lasse. Ferner beruhe das Gutachten auf weiteren falschen Annahmen; insbesondere sei eine Hinzurechnung von Zeiträumen erfolgt, für die offensichtlich keine Preiserhöhungen festgestellt seien, auf die aber gleichwohl ein erheblicher Anteil der angegebenen Schadenssumme entfalle. Dies gelte auch für die angeblichen Nachlaufeffekte nach Kartellende, für die außerdem Netto-Netto-Preise und nicht „Triple-Net-Preise“ (effektiver Transaktionspreis nach Abzug v. u.a. Werbekostenzuschüssen und Rückvergütungen) zu Grunde gelegt würden. Es gebe hier auch deshalb keine Nachlaufeffekte, da ein konstanter Kontakt mit Preisverhandlungen zwischen Kaffeeröstern und Handelsunternehmen bestanden habe.
79Weiter gehe das A2-Gutachten für D1 von einem falschen Energieträger (Erdgas statt Heizöl mit unterschiedlicher Preisentwicklung) aus.
80Nach von K1 durchgeführten Sensitivitätsanalysen weise das klägerische Modell bereits bei kleineren Korrekturen keinen Preisaufschlag mehr aus, vielmehr habe die Beteiligung der Klägerin am Kaffeerösterkartell zu einer Margenverschiebung zu ihren Gunsten geführt. Zudem sei die Datenbasis sei nicht verlässlich, die Annahme eines Nachlaufeffektes von 18 Monaten sei falsch, die Preisaufschlagsanalyse sei nicht belastbar.
81Jedenfalls sei der Klägerin aufgrund ihrer Teilnahme am nachgelagerten Hub&Spoke-Kartell schon kein Schaden entstanden.
82Zudem sei es zu einem vollständigen Vorteilsausgleich bzw. einer vollständigen Schadensweiterwälzung gekommen. Der Klägerin sei bereits deshalb kein Schaden entstanden, weil etwaige überhöhte Einkaufspreise durch entsprechend höhere Verkaufspreise an die Endkunden ausgeglichen bzw. überkompensiert worden seien. Dies ergebe sich auch aus dem vorgelegten K1-Gutachten.
83Jedenfalls sei ein Anspruchsausschluss gem. § 242 BGB anzunehmen, da die Klägerin letztlich selbst am Kartell beteiligt gewesen sei, weil dieses ohne die vertikalen kartellrechtswidrigen Absprachen nicht funktioniert hätte. Nach dem Grundsatz des § 817 S. 2 BGB gebe es keinen Schadensausgleich unter Mittätern.
84Im Übrigen stehe ein anspruchsausschließendes Mitverschulden gem. § 254 BGB aus o.g. Gründen einem Schadensersatzanspruch der Klägerin entgegen. Auch unter EU-kartellrechtlichen Wertungsgesichtspunkten sei dieses Ergebnis zwingend, zumal die Klägerin und andere Handelsunternehmen den Kartellanten nicht wirtschaftlich unterlegen gewesen seien, sondern letztere vielmehr auf deren Mitwirkung angewiesen gewesen seien. Auch ohne behördliches Vorgehen gegen die Klägerin könnten die Wirkungen des Kaffeerösterkartells nur mit einer gebotenen wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung sachgerecht erfasst werden.
85Jedenfalls seien die Ansprüche überwiegend verjährt.
86Mangels Anspruchs der Klägerin auf Schadensersatz bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Gutachterkosten nebst Zinsen.
87Die Streithelferin P1 behauptet, die Klägerin bzw. ihre Zedentinnen hätten im Kartellzeitraum die eigenen Margen bei den betroffenen Produkten erheblich erhöht. Die Steigerung der Verkaufspreise ergebe sich dabei auch aus den Prospektaufzeichnungen „M1“ (vgl. Anlagen S 2-1 bis S 2-8) und habe die Einkaufspreise deutlich überstiegen, so dass von einer Weiterwälzungsquote von über 100 % auszugehen sei. Hierzu beruft sie sich auf private Sachverständigengutachten aus einem Parallelverfahren (Anlagen S 2-9 – S 2-9).
88Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Anlagen Bezug genommen.
89Entscheidungsgründe:
90Die zulässige Klage ist unbegründet.
91I.
92Für die Erwerbsvorgänge aus den Jahren 2002 bis 2005 ist die entsprechende Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 2 BGB iVm § 1 GWB, Art. 81 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 101 Abs. 1 AEUV) bzw. Art. 53 EWR-Abkommen. Für die Vorgänge ab dem 01.07.2005 ist die Anspruchsgrundlage § 33 Abs. 3 GWB 2005 iVm § 1 GWB 2005, Art. 81 Abs. 1 EGV. Nach allen Vorschriften ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine drittschützende Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder die Vorgaben in Art. 81, 82 EGV (jetzt: Art. 101, 102 AEUV) verstößt, zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet.
93II.
94Der Klägerin ist allerdings der Vortrag eines Schadensersatzanspruchs schon dem Grunde nach nicht gelungen, da der von ihr unterbreitete Vortrag bereits die Annahme eines Schadenseintritts zu ihren Lasten nicht rechtfertigt.
951.
96Die Feststellung des Schadenseintritts ist nach den Maßstäben des § 287 Abs. 1 ZPO zu treffen, weshalb für die richterliche Überzeugungsbildung eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit der Schadensentstehung ausreicht (BGH KZR 19/20, Rn 64 - LKW II - juris; KZR 24/17- Schiene II Rn. 35- juris m.w.N.). Dies erfordert eine Gesamtabwägung aller für und gegen einen Schadenseintritt sprechenden Indizien (vgl. BGH KZR 19/20, Rn 52 f. – LKW II – juris).
97In diese Würdigung kann jeder Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells einbezogen werden, sofern dieser festgestellt oder von der Partei, die sich auf ihn beruft, unter Beweis gestellt worden ist (BGH, – KZR 19/20 Rn 64 - LKW II – juris; hierzu auch Kammer, Hinweisbeschluss v. 27.9.2021– 8 O 4/18 Kart und instruktiv Schweitzer/Woeste, NZKart 2021, 676).
98Zu berücksichtigen ist dabei, dass grundsätzlich zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür streitet, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, der jedoch nicht zu einer Umkehr der Beweislast führt, sondern im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2021 – KZR 19/20).
99Nach diesen Grundsätzen gelangt die Kammer unter Würdigung aller Umstände vorliegend indes nicht zu der Überzeugung, dass eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Klägerin aufgrund des Kartellrechtsverstoßes der Beklagten ein Schaden entstanden ist. Die im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Indizien dafür, dass der Preis, den die Beklagte und die übrigen Kartellanten mit der Klägerin während des Kartellzeitraumes vereinbart haben, höher war, als er ohne die Kartellabsprache gewesen wäre, genügen weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau, um eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 287 Abs. 1 ZPO für eine Schadensentstehung jedenfalls zu Lasten der Klägerin zu begründen.
100Denn hier handelt es sich – wie auch die Klägerin im Rahmen ihres Sachvortrages selbst eingestanden hat – um eine deutlich atypische Konstellation, in welcher der tatsächlichen Vermutung für eine kartellbedingte Preiserhöhung im Rahmen der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles wegen der konkreten Ausgestaltung des Kartells kaum Gewicht beizumessen ist.
101a)
102Zwar sind vorliegend eine Reihe von regelmäßig für einen Schaden im Sinne einer kartellbedingten Preiserhöhung sprechende Indizien gegeben (vgl. zu tauglichen Indizien etwa Coppik/Heimeshoff, Praxis der Kartellschadensermittlung, S. 67 ff, 75 m.w.N., Hellmann/Schliffke, WUW 2021, WUW 1373601, S. 7 f., sowie Bayer/Rinnen/Wandschneider, NZKart 2021, 407 ff.). Zu nennen sind hier insbesondere die zeitliche „Lebensdauer“ des Kartells in Form der von der von 1999 bis 2008 bestehenden Grundabsprache sowie ferner die hohe Marktabdeckung unter Beteiligung der vier führenden Röstkaffeehersteller mit deutschlandweiter Ausdehnung der Absprachen und deren Umsetzung in gefestigten Strukturen.
103b)
104Soweit im Grundsatz auch eine hohe Markttransparenz ein taugliches Indiz für einen Schaden sein kann, greift dieser Aspekt hier bereits nicht durch, denn im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Kaffeeröster dem Handel ein komplexes System von Vergünstigungen, Sonderkonditionen und Rabatten gewährt haben, das einer vollständigen Preistransparenz entgegenstand.
105c)
106Die weiteren für das Vorliegen eines kartellbedingten Schadens angeführten Indizien, insbesondere die vorgelegten Privatgutachten, sind hingegen nicht geeignet, eine gesicherte Tatsachengrundlage für eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit eines solchen Schadens zu begründen.
107Diese von den Parteien vorgelegten Gutachten stellen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ebenfalls – lediglich - Indizien für oder gegen einen Schaden dar (vgl. BGH KZR 19/20 Rn 63 – juris); ein Gericht kann sich aus solchen Gutachten ergebende Aspekte aufgrund von Einzelfallbesonderheiten als widerlegt ansehen, ohne dass für diese Bewertung gerichtsgutachterliche Unterstützung erforderlich wäre (vgl. instruktiv BGH KZR 19/20 Rn 37 und 43 sowie zum Ganzen auch Kammer, 8 O 4/18 Kart, Rn 3, 7 - juris und zustimmend dazu etwa Huttenlauch/Dengler/Voges, WuW 2022, 259, 262 sowie Schweitzer/Woeste, aaO.).
108Bei der Kammer verbleiben insoweit erhebliche, nicht überwindbare Zweifel an der Plausibilität der gutachterlichen Ausführungen. In inhaltlicher Hinsicht betreffen diese etwa den Umstand, dass die klägerischen Gutachter den gesamten Kartellzeitraum ohne Differenzierung betrachten, obschon nach den Feststellungen des OLG Düsseldorf jedenfalls davon auszugehen ist, dass darin auch Zeiträume ohne Preisaufschlag enthalten sind, denn ausweislich der Entscheidungsgründe des Kartellsenates sind den Kartellanten nicht durchgängig wirtschaftliche Vorteile aus der Grundabsprache entstanden (OLG Düsseldorf, V-4 Kart 5/11 (OWi), - D1 - Rn. 538-juris).
109Die soeben erwähnte einheitliche Betrachtung des Kartellzeitraums geht vor diesem Hintergrund mit einer möglichen Verfälschung der Ergebnisse zu Gunsten der Klägerin einher, ohne dass dieser Einwand, den die Beklagte bereits in der Klageerwiderung erhoben hat, von der Klägerin oder ihren Privatgutachtern entkräftet worden wäre (vgl. zur Bedeutung der Abgrenzung kartellbefangener und nicht-kartellbefangener Daten auch schon Haucap/Heimeshoff, ZWeR 2022, 91). Bereits diese fehlerhafte Grundannahme führt zur Unbrauchbarkeit der klägerischen Regressionsanalyse, so dass dieser keine Überzeugungskraft zukommt.
110d)
111Diesen wenigen, hier für einen Schaden streitenden Aspekten stehen indes aufgrund der schon angesprochenen atypischen Konstellation zahlreiche Indizien entgegen, die gegen eine Preiserhöhung, jedenfalls gegen eine solche zu Lasten der Klägerin, sprechen.
112aa)
113Zu nennen ist hierbei insbesondere der Umstand, dass zunächst außerhalb der konkreten, in der Entscheidung des OLG Düsseldorf festgestellten Preiserhöhungen ein Preisaufschlag nach den Feststellungen des Senats schon nicht zu verzeichnen war, die Kartellanten entgegen des regelmäßig bei Kartellen dieser Art bestehenden Erfahrungssatzes demnach gerade nicht in der Lage waren, durchgängig wirtschaftliche Vorteile aus der Grundabsprache zu erzielen. Vielmehr war es ihnen demzufolge trotz der großen Marktabdeckung nicht einmal möglich, sämtliche festgestellten Versuche einer Preiserhöhung auch tatsächlich am Markt durchzusetzen (vgl. OLG Düsseldorf, V-4 Kart 5/11 (OWi) – D1 - Rn 529 – juris).
114Die Grundabsprache führte demnach also gerade nicht, wie dies ansonsten oft anzunehmen ist, aufgrund der Koordinierungsmaßnahmen an sich schon zu einer Preiserhöhung; vielmehr waren nicht einmal sämtliche der dann zu einigen Kartellzeitpunkten konzertiert vorgenommenen Preiserhöhungen am Markt durchsetzbar und somit geeignet, Kartellschäden zu verursachen.
115Den diesbezüglichen Feststellungen des OLG Düsseldorf kommt hier zwar keine Bindungswirkung iSd § 33 Abs. 4 GWB 2005 bzw. § 33b GWB zu, da es sich nicht um Feststellungen aus dem Tenor oder den tragenden Gründen handelt (vgl. dazu BGH KZR 25/14, BGHZ 211, 146 Rn. 12 m.w.N – Lottoblock II sowie auch Bechtold/Bosch, GWB, § 33 Rn. 46 m.w.N.), sondern allein um Ausführungen zu den Wirkungen eines Verstoßes auf einzelne andere Marktteilnehmer, der Eintritt eines konkreten Schadens, dessen Höhe oder auch nur die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens (Grave in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 100. Lieferung 11.2021, § 33b GWB, Rn. 25 ff; Hauser/Haas, in: Stancke, Weidenbach, Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2. Aufl. 2021, S. 529; vgl. auch OLG München, Urt. v. 21. 02. 2013 – „Fernsehvermarktung“ U 5006/11 Kart –, Rn. 90, juris). Doch ist solchen Feststellungen jedenfalls indizielle Bedeutung beizumessen, zumal sich eine eigenständige rechtliche Würdigung durch das Gericht nicht in Widerspruch zu den Erwägungen setzen darf, die in einer gem. §§ 33 Abs. 4 GWB 2005 bzw. § 33 b GWB bindenden Entscheidung die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes tragen (Vgl. Immenga/Mestmäcker/Franck, 6. Aufl. 2020, GWB § 33b Rn. 27 unter Verweis auf OLG Düsseldorf 9.4.2014, Az. VI-U (Kart) 10/12; OLG Stuttgart, Urt. v. 04.04.2019, 2 U 101/18).
116bb)
117Im Übrigen ist die Klägerin diesem Aspekt auch nicht überzeugend entgegengetreten.
118Soweit die Klägerin argumentiert, bereits die Grundabsprache habe zu fehlenden Preissenkungen, insbesondere vor dem Hintergrund sinkender Rohkaffeepreise, geführt, stellt dies allein kein allzu gewichtiges Indizes für einen Schaden dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die Grundabsprache Preissenkungen zwar nicht ausdrücklich koordiniert, aber auch nicht vollständig ausgeschlossen wurden. Vielmehr kam es zu mehreren Zeitpunkten im Kartellzeitraum tatsächlich zu Preissenkungen, so etwa im September 2000, im September 2003 und im März 2004 (s. OLG Düsseldorf, V-4 Kart 5/11 (OWi) – juris, Rn 210, 229, ferner Bußgeldbescheid E1 S. 15, 23, 24.). Vor diesem Hintergrund bleibt die Behauptung der Klägerin also erkennbar unsubstantiiert.
119Hinzu kommt, dass sinkende Rohkaffeepreise auch auf einem nicht kartellierten Markt nicht notwendig unmittelbar zu allgemeinen Preissenkungen geführt hätten, zumal nicht alle Kaffeeröster aufgrund der Vertragsstruktur mit ihren Zulieferern zum gleichen Zeitpunkt und im gleichen Maße hiervon betroffen worden wären.
120Ferner lässt der Vortrag der Klägerin auch die Berücksichtigung anderer Kosten, z.B. im Herstellungs- oder Vertriebsprozess, außen vor.
121Schließlich ist zu berücksichtigen, dass aus ökonomischer Perspektive Preissenkungen nicht immer in gleichem Maße wie Preissteigerungen an Abnehmer weitergegeben werden (sog. „asymmetrische Preistransmission“ vgl. Meyer, J.; Cramon-Taubadel, S. (2004), Asymmetric Price Transmission: A Survey, abgerufen zuletzt am 20.06.2022 unter: http://www.xxx.pdf).
122cc)
123Eine weitere Besonderheit ergibt sich, wie sich ebenfalls aus dem vorstehen genannten Urteil des OLG Düsseldorf und dem Parteivortrag im hiesigen Verfahren ableiten lässt, zudem daraus, dass der Wettbewerb durch das Kaffeerösterkartell schon deshalb nicht vollständig außer Kraft gesetzt worden ist, weil die Absprachen der Kaffeeröster die meisten Abgabekonditionen (Skonti, Werbekostenzuschüsse etc.) gegenüber den Einzelhändlern gar nicht betrafen, obgleich diesen bei Preisverhandlungen ein hohes Gewicht zukam. Daher bezog sich auch die Markttransparenz, welche grundsätzlich ein Indiz für eine kartellbedingte Preissteigerung sein kann (s.o.), auf der ersten Marktstufe lediglich auf die Fabrikabgabepreise des Kaffees. Durch die Intransparenz des effektiven Abgabepreises, welcher die nicht kartellierten Sonderkonditionen beinhaltete, bestand vielmehr, wenn auch naturgemäß in verringertem Umfang, weiterhin Wettbewerb.
124dd)
125Soweit die Sachverständigen der Klägerin gleichwohl aus dem Auseinanderdriften von Kaffee- und Bohnenpreisen ein Indiz für einen Schaden ableiten wollen, weil die Preise der Klägerin mit der generellen Kaffeepreisentwicklung korrelierten bzw. einen parallelen Verlauf abbildeten, und darüber hinaus ausführen, aus dem Ziel der Grundabsprache, nämlich der Beibehaltung der Preisarchitektur, sei zu schließen, dass sich dies wegen der der erheblichen Bedeutung von Rabatten und Konditionen im Kaffeemarkt nur auf Preise nach Berücksichtigung dieser Rabatte habe beziehen können (S. 5 Gutachten K 32), überzeugt dies schon deshalb nicht, weil dies zum einen die Feststellungen des OLG Düsseldorf erkennbar überdehnt und zum anderen eine tragfähige Begründung, insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Kaffeemarktes, vermissen lässt.
126Der Markt für Kaffee ist nämlich – was auch zwischen den Parteien unstreitig ist – insbesondere durch den Umstand gekennzeichnet, dass die Verbraucher sich beim Erwerb von Kaffee besonders preisempfindlich zeigen und ggf. zu anderen, preiswerteren Herstellern „abwandern“. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Kaffee häufig als sogenannter „Zugartikel“ dient, der vorrangig zu Sonderpreisen abgegeben wird. Schließlich gilt ganz generell, dass der Löwenanteil von Kaffee zu Sonderpreisen und eben nicht zum sogenannten Regalpreis verkauft wird.
127Vor diesem Hintergrund stellte die Stabilisierung des Preisniveaus auf der Marktstufe der Verbraucherpreise deshalb auch für die Klägerin einen Vorteil dar, denn so wurde einem Preiskampf mit der Gefahr ständig sinkender Preise und damit einhergehender sinkender Margen entgegengewirkt.
128Dass die Klägerin ihrerseits systematisch das allgemeine Aktionspreisniveau der Wettbewerber unterbot und somit gleichsam dauerhaft geringere oder gar negative Margen erzielte, ist weder durch die Klägerin substantiiert mit Zahlenmaterial vorgetragen noch angesichts der häufigen Rügen von Handelsunternehmen gegenüber den Kaffeeröstern in Fällen, in denen ein anderes Handelsunternehmen die in Aussicht genommenen Abgabepreise an den Verbraucher unterschritt, auch nur im Ansatz wahrscheinlich. Insbesondere ist auch keinesfalls lebensnah, dass die Klägerin regelmäßig Verluste bezüglich der eigenen Marge hingenommen hat (vgl. zu vergleichbarem Parteivortrag auch BGH, Urt. v. 13.04.2021 - KZR 19/20- LKW II, Rn. 44 –juris), zumal das OLG Düsseldorf (V -4 Kart 5/11 OWi, Rn. 26 – juris) sogar konkrete Ausführungen zu einer deutlichen Margenverlagerung zu Gunsten der Lebensmitteleinzelhändler machte.
129Der diesbezügliche Klägervortrag ist zudem insgesamt trotz der durch die Kammer erteilten Hinweise deutlich zu pauschal geblieben. Soweit die Klägerin sich nunmehr auf ein Privatgutachten der J1 v. 03.05.2022 (K 32, Ziff. 4 und 30 ff, 58) beruft, aus dem sich ergebe, dass nach Ende des Kartells eine durchschnittliche Marge von 0,53 €/500 Gramm erzielt worden sei, wohingegen im Kartellzeitraum die Durchschnittsmarge bei 0,27 €/500 Gramm gelegen habe, steht dies bereits im Widerspruch zu den Ausführungen im Urteil des OLG Düsseldorf (s.o.). Insbesondere fehlt es den Ausführungen aber schon deshalb die nötige Überzeugungskraft, da jeweils nur ein einziger Durchschnittswert für die Marge im Kartell- sowie im Nachkartellzeitraum angegeben wird, obgleich die Gutachter der Klägerin selbst einräumen müssen (S. 11), dass es über die Zeit teils große Unterschiede in den Werten gegeben habe. Daran ändern auch die Signifikanztests nichts, zumal die Verwendung der Controlling-Preise mit der Gefahr möglicher Verzerrungen einhergeht, wie auch die Gutachter ausführen (S. 10).
130Auch die vorgetragenen Abweichungen unterscheiden sich nicht derart von der Höhe des abgestimmten Preisniveaus (vgl. auch Zielpreisanalyse im K1-Gutachten v. 19.08.2020 – B 3, sowie XXX v. 19.11.2021 – B 63), insbesondere dem der am Vertikalkartell teilnehmenden Handelsunternehmen, dass insofern von einer Sonderrolle der Klägerin auszugehen wäre.
131e)
132Schließlich kann die Klägerin auch nicht die in der Entscheidung des OLG Düsseldorf adressierten erfolgreichen Preiserhöhungen für einen ihr entstandenen Schaden fruchtbar machen. Dem stehen in der Gesamtschau nämlich weitere Aspekte der atypischen Situation des Kartells entgegen, die auch im Hinblick auf die oben schon erörterten Punkte von Relevanz sind.
133aa)
134Ein mit besonderem Gewicht zu berücksichtigender Aspekt für die atypische Charakteristik des Kartells ist insoweit nämlich die Notwendigkeit der marktstufenübergreifenden Umsetzung des Kartells samt Orientierung an den Endverbraucherpreisen, auf welche letztlich das Kartellgeschehen abzielen sollte.
135Angesichts der Beteiligung des im direkten Vertrieb operierenden Kartellanten E1 musste das Verhalten der übrigen Kartellanten darauf ausgerichtet sein, die Marktstufe der Klägerin als Lebensmittelhändlerin einzubinden, damit eine beabsichtigte Preiserhöhung in gleicher Weise wie durch den Direktvertrieb bei E1 auf der Marktstufe der Verbraucher ankam. Dass die Absprachen der Kaffeeröster – und zwar unter Mitwirkung des Lebensmitteleinzelhandels – unmittelbar Auswirkungen auf die Verbraucherpreise hatten, belegen bereits die Feststellungen des OLG Düsseldorf (V-4 Kart 5/11 (OWi), Rn. 61 ff – juris; dort heißt es: „Beim Treffen des Gesprächskreises am 10. April 2003 im Hotel 1 in C... verständigten sich (…) auf eine Preisanhebung der Fabrikabgabepreise für Filterkaffee um durchschnittlich 0,25 EUR je 500g in den Bruttopreislisten mit Wirkung zum 28. April bzw. 1. Mai 2003. Damit angestrebt war eine Erhöhung der Endverkaufs- und Aktionspreise […] um 0,20 EUR bis 0,30 EUR je 500g-Verkaufspackung“). Ferner ergibt sich auch aus weiteren Stellen dieser Entscheidung (Rn. 46, 54), dass die entsprechenden Absprachen der Kaffeeröster stets die Endverbraucherpreise als Bezugspunkt hatten.
136bb)
137Diese Orientierung an den Endverbraucherpreisen, die damit einherging, dass die Preiserhöhungen den Lebensmitteleinzelhändlern bisweilen unter Darlegung der konkreten Verkaufspreise (unter Beibehaltung von deren Margen, vgl. beispielsweise Anlagen B 49, B 51) erläutert wurden, führt aus Sicht der Kammer bei Abwägung aller Gesichtspunkte im Ergebnis dazu, dass etwaige kartellbedingte Preiserhöhungen hier auf der Marktstufe der Klägerin lediglich als gleichsam „durchlaufender Posten“ einzuordnen sind, die aufgrund der genannten Besonderheiten ausnahmsweise bereits der Entstehung eines Schadens bei der Klägerin entgegenstehen und nicht etwa erst im Rahmen des Weiterwälzungseinwandes zu berücksichtigen sind, weil die gesamte Konstruktion darauf ausgerichtet war, dass eine Durchleitung möglicher Erhöhungen nachgerade 1:1 auf der Verbraucherstufe ankam.
138Zwar wird diese Frage im Kartellschadensersatz regelmäßig dem (nachträglichen) Vorteilsausgleich zugeordnet und nicht bereits der Frage der Schadensentstehung (BGH KZR 75/10 = BGHZ 190, 145, 162 – ORWI), doch ist diese Einordnung unter Wertungsgesichtspunkten vorzunehmen. Dabei ist mit einzubeziehen, dass im Kartellrecht typischerweise die Weiterwälzung des erhöhten Preises auf die nächste Marktstufe eigener Anstrengungen des Geschädigten bedarf. Der kartellbedingt überhöhte Preis wirkt sich zunächst vermögensmindernd aus und kann nur durch eigene Anstrengungen im Rahmen der Weiterveräußerung ausgeglichen werden (vgl. auch BT-Drucksache 15/5049 S. 49).
139Diese Wertung bezieht sich jedoch regelmäßig auf typische Horizontalkartelle, die sich von der hier vorliegenden – atypischen - Konstellation maßgeblich unterscheiden. Diese Unterschiede ergeben sich hier - neben der marktstufenübergreifenden Zielsetzung und Umsetzung des Kaffeerösterkartells - aus der Kenntnis des Handels und dessen Beteiligung an der Preisgestaltung bezüglich der Endverkaufs- und Aktionspreise auf der Verbraucherstufe. Ziel der Kaffeeröster war aufgrund der geschilderten Besonderheiten des Kaffeemarktes nämlich in erster Linie gerade nicht die Erhöhung der Fabrikabgabepreise, sondern die der Preise auf der übernächsten Marktstufe gegenüber den Endkunden.
140Das „Preispflegesystem“, welches sich als Konsequenz aus den Absprachen der Kaffeeröster ergab, musste auch gerade darauf ausgerichtet sein, die Händler quasi schadlos zu halten, zumal die Kaffeeröster z.T. bereits im Zuge der Preiserhöhungen mitteilten, wie die höheren Weiterverkaufspreise zu berechnen seien, damit die Margen der Lebensmittelhändler stabil blieben und insbesondere keine unterschiedlichen Preisgestaltungen durch die Händler vorgenommen wurden, was schon wegen des Mitkartellanten E1 und seiner besonderen Vertriebsstruktur essentiell war.
141Die Aspekte, die der oben angesprochenen üblichen Wertungsentscheidung zugrunde liegen, lassen sich auf die hier zu betrachtende Konstellation mithin nicht übertragen. Die Abnehmer eines typischen Horizontalkartells sind, soweit sie die kartellierte Ware veräußern, grundsätzlich in der Preisgestaltung auf sich gestellt, so dass ein Schaden auf ihrer Stufe verbleiben oder durch die Weiterwälzung des kartellbedingten Preisaufschlages entfallen kann. Hier wurde hingegen der Verkaufspreis - was aufgrund der soeben geschilderten Vertriebsstruktur auch zwingend erforderlich war - direkt im Zuge der Verhandlungen über den Einkaufspreis mitberücksichtigt.
142Dies führt zum einen notwendig dazu, dass hier die nächste Marktstufe ausnahmsweise nicht erst im Rahmen des Weiterwälzungseinwandes zu betrachten ist, sondern im Wege einer „Durchleitung des Schadens“ an den Endverbraucher bereits bei der Frage der Schadensentstehung zu berücksichtigen ist.
143Zum anderen führt es auch dazu, dass die von der Kammer verfolgte „Theory of no harm“ (vgl. Hinweisbeschluss vom 27.09.2021, 8 O 4/18 [Kart] = WuW 2021, 727, 729) hier nicht durch die Klägerin fruchtbar gemacht werden kann. Denn es geht hier nicht um die Frage, dass aufgrund des Kaffeerösterkartells überhaupt keine Marktpreiserhöhung und somit eine Schädigung beabsichtigt worden wäre, sondern lediglich darum, dass ein etwaiger Schaden nicht auf der Marktstufe der Klägerin entstehen sollte, ja im Ergebnis sogar nicht entstehen durfte.
144cc)
145Für all dies, nämlich die jeweilige Bezugnahme auf Endverbraucherpreise im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagter bzw. den übrigen Kartellanten, lassen sich zahlreiche Nachweise in Schriftverkehr und Vertragsunterlagen der Parteien sowie in sonstigen Indizien finden.
146Ganz grundlegend spiegelt sich dies etwa in den vorgelegten Konditionenvereinbarungen sowie dem weiteren Schriftverkehr zwischen den Parteien nieder. Hier wird immer wieder Bezug auf die Verkaufspreise sowie sog. Preispflege-Vereinbarungen genommen, was nebenbei auch gewisse Anhaltspunkte für die durch die Beklagtenseite behaupteten vertikalen Absprachen liefert, ohne dass es hier entscheidend darauf ankäme.
147Zu nennen ist hier beispielsweise auch das Beanstandungsschreiben der Klägerin vom 9.1.2006 (B 16) sowie die entsprechende Antwort (B 17) der Beklagten; hieraus geht eindeutig hervor, dass beide Seiten die erwünschte Preisarchitektur mitgestalteten und dass auch von Seiten der Klägerin ein wachsames Auge auf die Preisgestaltungen im Markt gerichtet war. Auch wenn diese Absprachen nur bilateral geblieben wären, geben sie doch von entsprechender Kenntnis auf Seiten der Klägerin Kunde und sprechen stark dagegen, dass eine Preiserhöhung zu Lasten der Marge der Klägerin gegangen wäre.
148Zu berücksichtigen ist hier insofern auch die Formulierung in Ziff. 7 der jährlichen Konditionsvereinbarungen („Bei Preispflegekonzepten fühlt sich G1 nur hieran gebunden, wenn dieses Konzept national umgesetzt wird“), die zumindest ab 2004 bis 2007 in den Vereinbarungen enthalten war. In den Vereinbarungen der Vorjahre waren sogar konkrete Preisführungen erwähnt (vgl. Anlagen B 7 – B 9).
149Soweit die Klägerin insoweit darauf verweist, es habe sich jeweils nur um einen einkaufsbezogenen Kontext gehandelt, ist dies ersichtlich unzutreffend, weil Gegenstand der jeweiligen Schreiben die Endverkaufs- bzw. Verkaufspreise der Klägerin und ihrer Wettbewerber waren, aber gerade nicht die Einkaufspreise. Soweit die Klägerin behauptet, die Bezugnahme auf die Endverkaufspreise habe nur dem Zweck gedient, selbst bessere Konditionen als eigene Wettbewerber zu erhalten, ergibt sich dies so aus den vorgelegten Unterlagen nicht, sondern steht vielmehr im Widerspruch hierzu und wendet sich, was die behaupteten Mindermargen – vgl. dazu schon oben - angeht, sogar erkennbar gegen sie selbst.
150dd)
151Schließlich ist allgemein zu berücksichtigen, dass sich das geänderte Vorgehen der Kaffeehersteller vor dem Hintergrund des von intensivem Wettbewerb geprägten Vorkartellzeitraums der Klägerin nahezu aufdrängen musste. Deshalb spricht hier alles dafür, dass die Klägerin an der Herstellung der gewünschten Preisstruktur mitgewirkt hat, so dass sich eventuelle Preisaufschläge lediglich als durchlaufender und von vornherein einkalkulierter Posten für sie dargestellten.
152Als Aspekte zu nennen sind hier die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgenden Ankündigungsschreiben für Preiserhöhungen, welche aufgrund der fehlenden Streuung allein sachlich kaum zu begründen waren, zumal auch die Preiserhöhungsschritte und Umsetzungszeitpunkte sich jeweils entsprachen. Insbesondere die Ankündigung gleicher Fristen für Altpreiskontingente war durch sachliche Gründe auch aus Sicht der Kammer nicht mehr zu erklären, so dass die für den Lebensmitteleinzelhandel handelnden Personen auf entsprechende Absprachen hätten schließen können und müssen, insbesondere im Vergleich zum Wettbewerb im Vorkartellzeitraum. Auch der von der Beklagten unwidersprochen vorgetragene Ablauf von Preiserhöhungen im Nachkartellzeitraum am Beispiel des Jahres 2021 spricht dafür, dass während des Kartellzeitraumes erhebliche Abweichungen vom wettbewerblichen Normalfall des Ablaufes vorlagen, die jedenfalls bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit den betroffenen Lebensmitteleinzelhändlern auffallen mussten.
153ee)
154Die Situation ist insgesamt mit der durch den BGH in seiner Entscheidung „LKW II“ (KZR 19/20, dort Rn 44, 50) geschilderten Situation vergleichbar, da aufgrund der geschilderten Preispflegekonzepte, von welchen die Klägerin nicht nur schon angesichts ihrer eigenen Diktion in der Korrespondenz wusste, sondern in welche sie sogar auch erkennbar eingebunden war, hier während des Kartellzeitraums eine klare Trennung zwischen den Marktstufen der Erzeuger und Händler gar nicht gegeben war. Diese Nivellierung der Marktstufen war letztlich auch wegen der Vertriebsstruktur beim Mitkartellanten E1 nachgerade zwingend.
155Damit war aber, ähnlich wie im Falle des BGH (KZR 19/20 Rn 50), die Klägerin ein Stück weit in die Vertriebsstruktur mit eingebunden, so dass es gerade nicht auf die – nachgelagerte! – Frage einer Kostenwälzung im Sinne der Entscheidung des BGH in Sachen S1 (KZR 75/10) ankommt, sondern vielmehr jedwede Preiserhöhung bereits als gleichsam so geplanter durchlaufender Posten anzusehen ist, der einen Schaden auf der Marktstufe der Handelsunternehmen gar nicht erst entstehen lässt.
156Gestützt wird dies auch noch durch die schon oben angesprochenen Ausführungen des OLG zu gesteigerten Margen auf der Handelsstufe; im Zusammenspiel der geschilderten Aspekte ergibt dies ein äußerst stimmiges Gesamtbild, dem auch die Klägerin – wie schon oben angesprochen – nicht substantiiert entgegengetreten ist.
157ff)
158Schließlich kann auch nichts Abweichendes aus dem Umstand folgen, dass sich die Klägerin teilweise angebliche Forderungen ihrer Konzerngesellschaften vor dem Hintergrund einer möglichen Weiterwälzung von Schäden auf diese hat abtreten lassen, da die Klägerin und die ihr nachgeordneten Vertriebsgesellschaften ebenfalls als Einheit in der oben dargestellten Weise anzusehen sind (vgl. auch BGH KZR 19/20 - Rn. 50 und in diese Richtung auch bereits Kammer, 8 O 13/17 Kart = NZKart 2018, 382 ff. = WuW 2018, 644 und ferner Kersting, WuW 2019, 290, 298).
159f)
160Damit ist aber auch bei einer nochmaligen Gesamtwürdigung aller Indizien aus Sicht der Kammer nicht von einem bei der Klägerin eingetretenen Schaden auszugehen.
1612. Da der Klägerin schon dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch zusteht, sind auch ihre weiteren - auf Ersatz von Gutachterkosten und Zinsen gerichteten - Anträge unbegründet.
1623.
163Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101 ZPO; diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.