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Auch in der Passivphase der Altersteilzeit bleibt es beim Grundsatz des einheitlichen Erfüllungsortes von Arbeitsleistung und Vergütung. Die in der Passivphase fehlende Verpflichtung, die Arbeitsleistung erbringen zu müssen, stellt keinen Umstand i.S.d. § 269 Abs. 1 BGB dar, der dazu führt, als Leistungsort den Sitz der Arbeitgeberin anzunehmen.
Als das örtlich zuständige Arbeitsgericht wird das Arbeitsgericht Herne bestimmt.
Gründe
2I. Das Arbeitsgericht München ersucht das Landesarbeitsgericht Hamm, das örtlich zuständige Gericht nach den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO zu bestimmen.
3Mit ihrer am 18.09.2023 bei dem Arbeitsgericht Herne anhängig gewordenen Klage fordert die Klägerin von der Beklagten, die ihren Sitz in A hat, Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 €. Dazu stützt sich die Klägerin auf einen „Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gem. § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz“ vom 24.04.2023 (im Folgenden: TV einm. Sonderzahlung), an den sie die Beklagte gebunden sieht. Nach § 1 Abs. 2 S. 3 dieses Tarifvertrags erhalten „Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden“, keine Zahlung.
4Die 1961 geborene und seit 1987 (rechnerisch) bei der Beklagten beschäftigte Klägerin befindet sich ausweislich einer Altersteilzeitvereinbarung vom 02.09.2019 in der Passivphase der Altersteilzeit, die am 01.04.2023 begann und bis zum 31.03.2024 andauert. Sie hält den Anspruchsausschluss in § 1 Abs. 2 S. 3 TV einm. Sonderzahlung für rechtsunwirksam.
5Mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2023 führte das Arbeitsgericht Herne aus, das Arbeitsgericht München dürfte örtlich für die Klage zuständig sein. Mit Schriftsatz vom 25.09.2023 verwies die Klägerin darauf, sie sei zuletzt für die Beklagte am Standort in B tätig gewesen, woraus sich die Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergäbe. Die Beklagte stellte sich mit einem am 02.10.2023 eingegangenen Schriftsatz auf den Standpunkt, die örtliche Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen Arbeitsgerichts Herne folge weder aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 29 ZP0 noch aus demjenigen des gewöhnlichen Arbeitsortes nach § 48 Abs. 1a) ArbGG. Beide Bestimmungen verlangten, dass ein „tatsächlicher Ort der Arbeitsleistung“ existiere. Dies sei angesichts der bereits begonnenen Passivphase nicht mehr der Fall. Der Rechtsstreit sei daher an das Arbeitsgericht München zu verweisen.
6Das Arbeitsgericht Herne hat der Klägerin Gelegenheit gegeben, zu diesem Schriftsatz bis zum 13.10.2023 Stellung zu nehmen. Nach Eingang eines weiteren Schriftsatzes der Beklagten vom 06.10.2023, den das Arbeitsgericht an die Klägerin übermittelt hat, hat sich das Arbeitsgericht Herne bereits am 11.10.2023 mit unanfechtbarem Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgericht Herne folge weder aus § 29 Abs. 1 ZPO noch aus § 48 Abs. 1a) ArbGG. Die Klägerin befände sich in der passiven Phase der Altersteilzeit. Sie müsse daher weder eine Arbeitsleistung in B erbringen noch existiere ein letzter gewöhnlicher Arbeitsort.
7Mit einem nach Erlass dieser Entscheidung am 13.10.2023 bei dem Arbeitsgericht Herne eingegangenen Schriftsatz begründete die Klägerin ihre Auffassung zur örtlichen Zuständigkeit erneut und stützte sich nun erstmals auch auf den Gerichtsstand der Niederlassung nach §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 17 ZPO mit dem – unbestrittenen – Tatsachenvortrag, sie sei für die Beklagte nach einer Versetzung in einer Betriebsstätte in B tätig gewesen.
8Mit Beschluss vom 06.11.2023 hat sich das Arbeitsgericht München für örtlich unzuständig erklärt und das Landesarbeitsgericht Hamm nach den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO um Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ersucht, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
9Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Herne sei für das Arbeitsgericht München nicht bindend. Der Beschluss sei offensichtlich gesetzeswidrig, weil er auf einer Versagung rechtlichen Gehörs der Klägerin beruhe, die ihr Wahlrecht nach § 35 ZPO zwischen verschiedenen Gerichtsständen zugunsten des Arbeitsgerichts Herne ausgeübt habe. So habe das Arbeitsgericht Herne den Rechtsstreit unter Verletzung rechtlichen Gehörs verwiesen, obwohl es nach § 48 Abs. 1a) ArbGG als das Gericht zuständig sei, in dessen Bezirk die Klägerin regelmäßig ihre Arbeit verrichte.
10Den Parteien wurde vom ersuchten Gericht Gelegenheit zu rechtlichem Gehör bis zum 28.11.2023 eingeräumt. Die Klägerin trug nicht weiter vor. Die Beklagte ersucht darum, als das örtlich zuständige Gericht das Arbeitsgericht München zu bestimmen. Dazu führte sie vertiefend aus:
11Das Arbeitsgericht München sei nach den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig. Eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Herne ergäbe sich nicht, weder aus § 48 Abs. 1a ArbGG noch aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 21 ZPO.
12Das Kundencenter in B stelle einen unselbständigen Nebenbetrieb dar, der eng an sie, die Beklagte in A, angebunden sei. Eine Niederlassung i.S.d. § 21 ZPO sei dieser Nebenbetrieb nicht.
13Über § 48 Abs. 1a) ArbGG lasse sich eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Herne nicht begründen. Der Gesetzgeber habe klarstellen wollen, dass es eines besonderen Gerichtsstandes des Arbeitsortes bei Rechtsstreitigkeiten dann nicht bedürfe, wenn es um Ansprüche außerhalb des durch den Arbeitsvertrag begründeten Synallagmas gehe. Lediglich bei beendeten Arbeitsverhältnissen könne Arbeitsort im Sinne des § 48 Abs. 1a) ArbGG derjenige Ort sein, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zuletzt gewöhnlich verrichtet habe. Hier sei das Arbeitsverhältnis allerdings nicht beendet. Die Inflationsausgleichsprämie ihrerseits sei nicht auf das arbeitsvertragliche Synallagma zurückzuführen.
14II. Das Landesarbeitsgericht Hamm war gem. §§ 46 Abs. 2 S. 1 ZPO, 36 Abs. 1 Ziff. 6, Abs. 2 ZPO aufgerufen, das zuständige Arbeitsgericht zu bestimmen. Das Arbeitsgericht Herne liegt im Gerichtsbezirk des ersuchten Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht München im Gerichtsbezirk des Landesarbeitsgerichts München. Das für beide Gerichte im Rechtszug zunächst höhere Gericht ist das Bundesarbeitsgericht. In diesem Fall wird das örtlich zuständige Gericht nach den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 36 Abs. 2 ZPO durch das Landesarbeitsgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Arbeitsgericht gehört. Das ist für das zuerst angerufene Arbeitsgericht Herne das Landesarbeitsgericht Hamm.
15Als örtlich zuständig war das Arbeitsgericht Herne zu bestimmen.
161. Nach § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO hat eine Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zu erfolgen, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich unanfechtbar für unzuständig erklärt haben und damit ein negativer Kompetenzkonflikt zu entscheiden ist. Dies ist hier der Fall. Das Arbeitsgericht Herne hat sich mit gem. § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG unanfechtbarem Beschluss vom 11.10.2023 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Das Arbeitsgericht München hat seinerseits mit unanfechtbarem Beschluss vom 04.11.2023 seine örtliche Unzuständigkeit erklärt und um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ersucht.
17a) Einer Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts durch das Landesarbeitsgericht steht die grundsätzliche Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts Herne vom 11.10.2023 nicht entgegen.
18aa) Verweisungsbeschlüsse wegen örtlicher Unzuständigkeit sind nach den §§ 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Ein Verweisungsbeschluss, der mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung erlassen worden ist, wirkt auch im Bestimmungsverfahren fort und ist dort zu beachten (LAG Hamm 23.08.2023, 1 SHa 16/23; 11.04.2018 – 1 SHa 11/18; 21.04.2017 1 SHa 3/17; 27.11.3013 – 1 SHa 17/13; 15.08.2007 - 1 SHa 22/07, NRWE; G/M/P Germelmann/Künzl, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 48 Rn. 101; Zöller-Schultzky, ZPO, 35. Auflage 2023, § 36 Rn 38). Der gesetzliche Anfechtungsausschluss von Beschlüssen über die örtliche Zuständigkeit bewirkt, dass die Fehlerhaftigkeit eines Verweisungsbeschlusses grundsätzlich hinzunehmen ist und eine (weitere) Anfechtbarkeit ausscheidet. Dies gilt selbst dann, wenn der Verweisungsbeschluss offensichtlich fehlerhaft ist (G/M/P Germelmann/Künzl, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 48 Rn. 101; LAG Hamm 12.08.2013 - 1 Ta 397/13).
19bb) An der Bindungswirkung fehlt es indes, wenn der Verweisungsbeschluss nicht nur offensichtlich fehlerhaft, sondern greifbar gesetzeswidrig ist. Ein derart extremer Verstoß kann keine Bindungswirkung entfalten (LAG Hamm 23.08.2023 – 1 SHa 16/23; 11.04.2018 – 1 SHa 11/18; 21.04.2017 – 1 SHa 3/17; 27.11.2013 – 1 SHa 17/13; 12.08.2013 – 1 Ta 397/13, LAG München 08.02.2011 – 1 SHa 4/10; G/M/P Germelmann/Künzl, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 48 Rn. 94a; Nomos-BR/Hohmann ArbGG/Roger Hohmann ArbGG § 48 Rn. 2).
20Von einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist nur dann auszugehen, wenn eine krasse Rechtsverletzung vorliegt. Nur sie lässt es zu, die gesetzliche Bindungswirkung ausnahmsweise zu durchbrechen, was etwa dann gilt, wenn der Beschluss dazu führen würde, dass sich die mit der Verweisung verbundene Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen als willkürlich herausstellt und sich dadurch in nicht mehr hinnehmbarer Weise vom verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht. In einem solchen Fall wäre der Beschluss unter Berücksichtigung elementarer rechtstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich, damit offensichtlich unhaltbar und als Beleg willkürlicher Rechtsfindung nicht mehr hinnehmbar (BVerfG 30.06.1970, 2 BvR 48/70 Rn. 17; BAG 05.09.2018 – 9 AS 3/18; 10.10.2017 – 9 AS 5/17; 19.03.2003 - 5 AS 1/03; LAG Hamm 23.08.2023 - 1 SHa 16/23; 11.04.2018 1 SHa 11/18; 21.04.2017 – 1 SHa 3/17; 12.08.2003 - 1 Ta 397/13; LAG München 08.02.2010 - 1 SHa 4/10; G/M/P Germelmann/Künzl, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 48 Rn. 94a).
21b) Der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 11.10.2023 hat diese Grenze zur greifbaren Gesetzeswidrigkeit überschritten, so dass seine Bindungswirkung durchbrochen wird.
22aa) Der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne ist offensichtlich rechtswidrig und stellt eine krasse Rechtsverletzung dar. Denn er verletzt den Grundsatz rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG eklatant. So hat das Arbeitsgericht Herne der Klägerin mit richterlicher Verfügung vom 04.10.2023 den Schriftsatz der Beklagten vom 29.09.2023 zugeleitet und zugleich eine Stellungnahmefrist bis zum 13.10.2023 eingeräumt. Auch einen weiteren Schriftsatz der Beklagten vom 06.10.2023, der sich mit der örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Herne auseinandergesetzt hat, hat das Arbeitsgericht Herne der Klägerin übermittelt. Seinen Beschluss über die örtliche Zuständigkeit hat das Arbeitsgericht dann allerdings vor Ablauf der gesetzten Frist erlassen, nämlich am 11.10.2023. Den am 13.10.2023 eingegangene Schriftsatz der Klägerin, in dem sie sich mit den Argumenten der Beklagten zur örtlichen Zuständigkeit auseinandergesetzt hat, hat das Arbeitsgericht Herne nicht mehr berücksichtigten können, weil sein Beschluss schon zuvor ergangen war.
23bb) Der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 11.09.2023 entfaltet keinerlei – auch keine partielle – Bindungswirkung. Zwar hat sich das Arbeitsgericht Herne in seinem Beschluss vom 11.10.2023 mit den Gerichtsständen des Erfüllungsorts und des gewöhnlichen Arbeitsorts befasst. Zu diesen Gesichtspunkten hatte die Klägerin bereits bis zum Erlass des Beschlusses – wenn auch nur knapp – vorgetragen. Das Arbeitsgericht Herne hat damit zumindest die bis dahin von der Klägerin eingebrachten rechtlichen Erwägungen berücksichtigt. Lediglich die im Schriftsatz der Klägerin vom 13.10.2023 vorgetragenen vertiefenden Ausführungen und den erstmals von der Klägerin angesprochenen rechtlichen Aspekt eines Gerichtsstands der Niederlassung hat das Gericht nicht zur Kenntnis genommen.
24Das führt allerdings nicht dazu, dass das um Bestimmung ersuchte Landesarbeitsgericht nun zumindest an die Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Beschluss vom 11.10.2023 zur Ablehnung der örtlichen Zuständigkeit unter den Gesichtspunkten des § 29 ZPO – Erfüllungsort – und des § 48 Abs. 1a) ArbGG – gewöhnlicher Arbeitsort – gebunden wäre und die insoweit gegebene mögliche Fehlerhaftigkeit in der Rechtsfindung durch das Arbeitsgericht Herne, die die Grenze zur krassen Rechtsverletzung für sich gesehen noch nicht überschritten haben dürfte, hinnehmen müsste. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dient der Bestimmung des gesetzlichen Richters. Das um Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts angerufene Landesarbeitsgericht ist gehalten, das wirklich zuständige Gericht zu bestimmen. Es muss aus eigener Rechtserkenntnis ermitteln, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist (vgl. BVerfG 30.06.1970 – 2 BvR 48/70 Rn. 16).
252. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Herne ergibt sich aus den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 29 Abs. 1 ZPO. Das Arbeitsgericht Herne ist das Gericht des Erfüllungsortes. Offenbleiben kann es, ob die Zuständigkeit darüber hinaus noch unter dem Gesichtspunkt des Gerichtsstands der Niederlassung oder des gewöhnlichen Arbeitsortes auch auf §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbG, 17 Abs. 1 ZPO oder § 48 Abs. 1a) ArbGG gestützt werden kann. Anzumerken bleibt lediglich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Gerichtsstands des gewöhnlichen Arbeitsorts gem. § 48 Abs. 1a ArbGG Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Klageerhebung erleichtern, nicht erschweren wollte. Ihnen soll neben den ansonsten bereits bestehenden Gerichtsständen zur erleichterten Klageerhebung der zusätzliche Gerichtsstand des Arbeitsortes an die Seite gestellt werden, an dem sie ihre Arbeitsleistung erbringen (BT-Drucksache 16/776 S. 14). Erkennbar wird, dass der Gesetzgeber jedenfalls keinen Ausschluss eines bisher unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes bereits gegebenen Gerichtstand über die Regelung des § 48 Abs. 1a ArbGG bewirken wollte.
26Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes i.S.d. §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 29 Abs. 1 ZPO legt für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis das Gericht des Ortes als zuständig fest, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Das ist für die Zahlung der Forderung, die die Klägerin als Inflationsausgleichsprämie einklagt, das Arbeitsgericht Herne.
27a) Die Klägerin fordert eine Zahlung aus einem Vertragsverhältnis i.S.d. § 29 Abs. 1 ZPO ein, nämlich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis. Unter den Begriff des Vertragsverhältnisses fallen unabhängig von der Art der Verpflichtung alle schuldrechtlichen Verträge (BAG Urt. v. 20.04.2004 – 3 AZR 301/03 – Rn. 13), damit auch Arbeitsverträge. Die Klägerin führt ihren angenommenen Anspruch auf die in Abs. 2 der „Änderungsvereinbarung zur Altersteilzeitvereinbarung vom 11.07.2022 enthaltene Regelung zurück, wonach das „Tarifwerk der Tarifgruppe Energie“ Anwendung findet und damit aus ihrer Sicht auch den TV einm. Sonderzahlung umfasst. Damit macht die Klägerin einen tariflichen Anspruch geltend, den sie auf eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel stützt. An der arbeitsvertraglichen Verknüpfung der Inflationsausgleichsprämie als Vergütungsbestandteil, die mit der Arbeitsleistung der Klägerin in einem Synallagma steht, bestehen entgegen der Annahme der Beklagten keine Zweifel. In jedem Fall beruht dieser von der Klägerin angenommene Anspruch auf dem Arbeitsverhältnis.
28b) Erfüllungsort i.S.d. § 29 Abs. 1 ZPO für die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie ist – ebenso wie für die von der Klägerin erbrachte Arbeitsleistung – B. B liegt im Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Herne.
29aa) Die Klägerin wurde, wie sich dem von ihr mit dem nicht vom Arbeitsgericht Herne zur Kenntnis genommenen Schriftsatz vom 13.10.2023 beigefügten Schreiben der Beklagten an sie vom 01.10.2020 entnehmen lässt, an den „Dienstort B“ unter Aufrechterhaltung der „bisherigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen“ versetzt. Dort hat die Klägerin ihre arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht.
30bb) Der Erfüllungsort für die Verpflichtungen aus einem Vertragsverhältnis ist dem anzuwendenden materiellen Recht zu entnehmen (BAG Urt. v. 20.04.2004 – 3 AZR 301/03 – Rn. 14; Urt. v. 09.10.2002 5 AZR 307/01 Rn. 22). Materiell bestimmend ist hier § 269 BGB. § 269 Abs. 1 BGB stellt, sofern keine ausdrückliche Vereinbarung erfolgt ist, darauf ab, ob sich der Leistungsort aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt.
31Bei Arbeitsverhältnissen ist für die Leistungen der Vertragsparteien grundsätzlich von einem einheitlichen Erfüllungsort auszugehen. Dabei ist im Regelfall auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Berufstätigkeit abzustellen, also auf den Ort, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (BAG Urt. v. 20.04.2004 – 3 AZR 301/03 – Rn. 14; Urt. v. 09.10.2002 5 AZR 307/01 Rn. 22; Beschl. v. 23.10.1996 – 5 AS 6/96 – Rn. 12; LAG Bremen Beschl. v. 09.10.2014 – 1 SHa 4/14 Rn. 45). Der wirtschaftliche und technische Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses ist deshalb regelmäßig der gemeinsame Erfüllungsort für die beiderseitigen Leistungspflichten (GMP Germelmann/Künzl, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 48 Rn. 4; Zöller-Schultzky, ZPO, 35. Aufl. 2023, § 29 Rn. 25.3, Stichwort: Arbeitsvertrag; Walker in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Aufl. 2022, § 48 ArbGG Rn. 125, 127; Eymelt-Niemann in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2023, § 29 Rn. 42; Patzina in: MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 29 Stichwort: Arbeitsvertrag).
32Bereits nach dem Wortlaut des § 269 Abs. 1 BGB verbietet sich eine schematische Handhabung dieser Grundsätze. Denn nach dieser Bestimmung sind es insbesondere die Umstände des Schuldverhältnisses, die den Leistungsort bestimmen können.
33Entgegen der Annahme der Beklagte sprechen die Umstände des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht dafür, von diesem Grundsatz der Einheitlichkeit des Erfüllungsortes eine Ausnahme zu machen und als Leistungsort, wie es die Zweifelsregelung des § 269 Abs. 1 BGB vorsieht, den Wohnsitz des Schuldners im Zeitpunkt der Entstehung der Schuld zu bestimmen, hier also den Sitz der Beklagten in A.
34Solche Umstände sind nicht darin zu erkennen, dass sich die Klägerin seit dem 01.04.2023 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.03.2024 in der Passivphase der Altersteilzeit befindet, wenngleich es zutrifft, dass die Klägerin sowohl im Zeitpunkt des Entstehens der eingeforderten Zahlung, der mit dem Inkrafttreten des Tarifvertrags am 24.04.2023 ausgelöst worden ist, als auch im nach § 1 Ziff. 3 TV einm. Sonderzahlung festgelegten Fälligkeitszeitpunkt „Juni 2023“ nicht mehr verpflichtet war, eine Arbeitsleistung zu erbringen.
35Nicht überzeugend ist es, alleine an den Umstand fehlender Arbeitsverpflichtung während der Passivphase der Altersteilzeit anzuknüpfen und pauschal anzunehmen, Erfüllungsort für die Entgeltzahlung sei in dieser Phase der Firmensitz der Arbeitgeberin (so ArbG Dortmund v. 21.05.2002 – 9 Ca 2490/02, NZA 2002, 1359; Walker in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Aufl. 2022, § 48 ArbGG Rn. 129; Eymelt-Niemann in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2023, § 29 Rn. 42; Patzina in: MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 29 Stichwort: Arbeitsvertrag).
36Dies berücksichtigt die Umstände des im Einzelfall gegebenen Schuldverhältnisses nur unzureichend. Mit dem Bundesarbeitsgericht ist darauf abzustellen, dass der einheitliche (gemeinsame) Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses zunächst der Ort ist, an dem die wesentliche Leistung des Arbeitsvertrags erbracht wird, also die Arbeitsleistung. Die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird oder wo sich die Personalverwaltung der Arbeitgeberin befindet, ist regelmäßig ohne Bedeutung. Auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ändert für sich gesehen am einheitlichen Erfüllungsort nichts (BAG Beschl. v. 17.04.1997 – 5 AS 8/97, Rn. 10.; Beschl. v. 23.10.1996 – 5 AS 6/96, Rn. 12).
37Die konkreten Umstände des hiesigen Arbeitsverhältnisses, das sich in der Passivphase der Altersteilzeit befindet, rechtfertigen eine Ausnahme vom Grundsatz des einheitlichen Erfüllungsorts gerade nicht.
38(1) Im Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeit-Vereinbarung vom 28.08.2019 sind die Parteien davon ausgegangen, dass die Arbeitsleistung der Klägerin weiterhin an ihrem Arbeitsort erfolgen sollte. Verändern wollten die Parteien – wie typischerweise in einer Altersteilzeitvereinbarung - lediglich die Lage der geschuldeten Arbeitszeit. So haben die Parteien in Ziff. 3 Abs. 1 der Altersteilzeitvereinbarung ausdrücklich aufgenommen, dass die „durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers“ die „Hälfte seiner bisherigen Arbeitszeit“ beträgt. Abs. 2 dieser vertraglichen Bestimmung legt sodann fest, dass die Arbeitszeit während der Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses so verteilt wird, dass sie in der ersten Hälfte des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erbracht und der Arbeitnehmer in der zweiten Hälfte von der Arbeit „freigestellt“ wird.
39Diese „Freistellung“ stellt sich allerdings nicht als eine den Annahmeverzug der Beklagten begründende Freistellung von einer an sich geschuldeten Arbeitsverpflichtung der Klägerin dar. Die Klägerin hat nämlich den auf den Zeitraum der Passivphase entfallenden Arbeitszeitanteil bereits vollständig in der Aktivphase erbracht. Die über den gesamten Zeitraum der Altersteilzeit geschuldete Arbeitszeit wurde durch die Altersteilzeitvereinbarung in die Aktivphase gelegt. So haben es die Parteien letztlich auch verstanden, wenn sie in Ziff. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 der vertraglichen Vereinbarung die „Verteilung der Arbeitszeit“ im „Blockmodell“ festlegen und zwischen „Aktiv-“ und „Passivphase“ unterscheiden.
40(2) Die von der Klägerin in Erfüllung des Altersteilzeitvertrags in der Aktivphase in vollem Umfang erbrachte Arbeitsleistung ist damit zur Hälfte eine Vorleistung (vgl. ErfK/Rolfs, 24. Aufl. 2024, ATG § 8 Rn. 23), für die ihr in der Passivphase ein Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung nach § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Altersteilzeitvertrag zusteht. So erwirbt der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase einen Anspruch auf das volle Entgelt, während seine Vergütungsforderungen in dieser Zeit nur zur Hälfte durchsetzbar und hinsichtlich der weiteren Hälfte auf den jeweiligen Kalendermonat der Passivphase betagt sind (ErfK/Rolfs, 24. Aufl. 2024, ATG § 8 Rn. 23).
41Für die Arbeitsvertragsparteien stellen sich die Umstände der wechselseitigen Leistungsverpflichtungen vor und nach Begründung des Altersteilzeitarbeitsvertrages deshalb nicht anders dar, als sie zuvor bestanden haben. Der einheitliche Erfüllungsort, der für die wechselseitigen Leistungsverpflichtungen des Arbeitsverhältnisses besteht, wird durch die Reduzierung der Arbeitszeit und deren – vollständige – Verteilung in eine aktive und passive Phase nach dem Blockmodell nicht wesentlich verändert.
42(3) Dass die Parteien des Altersteilzeitvertrages vom 28.08.2019, in dessen wesentliche Bestimmungen durch die später getroffene Änderungsvereinbarung vom 11.07.2022 nicht eingegriffen wurde, dies ebenso gesehen haben, wird bereits daran deutlich, dass sie ausweislich der Regelung in Ziff. 1 der Altersteilzeitvereinbarung vom 28.08.2019 aufgenommen haben, die „Bestimmungen des Arbeitsvertrags in der jeweils gültigen Fassung“ würden weitergelten. Ferner haben sie in Ziff. 1.3 der Änderungsvereinbarung vom 11.07.2019 geregelt, dass das Arbeitsentgelt „unabhängig von der Verteilung der Arbeitszeit fortlaufend zu zahlen“ ist. Erkennbar wird, dass die Parteien mit der Altersteilzeitveränderung nur insoweit in den bestehenden Arbeitsvertrag eingreifen wollten, wie es aus ihrer Sicht nötig war.
43Aus diesen Umständen des Schuldverhältnisses, auf die nach § 269 Abs. 1 BGB für die Ermittlung des Arbeitsortes abzustellen ist, lässt sich ableiten, dass es trotz der durch die anderweitig erfolgte Verteilung der reduzierten Arbeitszeit erreichten Passivphase bei einem einheitlichen Erfüllungsort für Arbeitsleistung und Vergütung am Ort der während der Altersteilzeit geschuldeten und von der Klägerin erbrachten Arbeitsleistung in Recklinghausen bleiben soll.
44III. Die Kosten dieses Beschlusses sind Kosten des Verfahrens (LAG Hamm 23.08.2023 - 1 SHa 16/23; 11.04.2018 1 SHa 11/18; 21.04.2017 – 1 SHa 3/17; 26.11.2015 – 1 SHa 22/15; 12.08.2003 - 1 Ta 397/13; 15.08.2007 - 1 SHa 22/07).
45Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 37 Abs. 2 ZPO.
46Rechtsmittelbelehrung
47Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.